Heute überquere ich die finnisch-russische Grenze bei Vyartsilya. Ein wenig Anspannung ist schon dabei, denn man braucht ein Visum sowie einen – wenngleich auch vermeintlich – Einladenden, und zudem führe ich noch ein Fahrzeug ein.
Finnisch-russische Grenze
Es geht jedoch alles gut. Ich muss zwar meine Packtaschen öffnen und man schaut hinein, aber das Auspacken bleibt mir erspart. Eine befürchtete Schikane gibt es nicht.
Bei einem Formular muss mir ein Grenzbeamter helfen, da es lediglich kyrillische Buchstaben aufweist und ich überhaupt nichts entziffern kann. Der freundliche Mensch spricht ein paar Wörter Englisch, sodass ich alles Erforderliche eintragen kann. Es gibt einen Stempel in den Reisepass, und man legt ein Einreiseformular dazu, mittels dem ich binnen eines Monats Russland wieder verlassen muss. Nach zwei Stunden sind alle Formalitäten erledigt, und ich darf einreisen.
65 Kilometer nach Grenzüberquerung erreiche ich die Stadt Sortavala am Ladagosee, wo ich zwei Tage bleiben werde.
Sankt Nikolauskirche in Sortavala
Ich möchte das Kloster Walaam besichtigen, nach dessen Verlassen im Jahr 1940 orthodoxe Mönche das finnische Uusi Valamon errichteten. Das Kloster liegt auf der gleichnamigen Inselgruppe im nordöstlichen Teil des Ladogasees, 80 Kilometer nördlich von Sankt Petersburg.
Das Schiff darf nicht auslaufen
Die staatlichen Schiffe haben witterungsbedingt keine Auslaufgenehmigung, obwohl weder Sturm noch Wellengang zu beobachten sind. Aber ein privater Bootseigner, den ich auf dem Anleger antreffe, erklärt sich bereit, fünf Besucher, darunter auch mich, zur Insel überzusetzen. Unterwegs wird es unvermittelt ziemlich windig, sodass wir Schwimmwesten anziehen.
Bootsüberfahrt mit Schwimmweste
Kloster Walaam
Der Zeitpunkt der Gründung des Klosters ist nicht bekannt, man vermutet jedoch als Baubeginn das 14. Jahrhundert.
Im 17. Jahrhundert, das Kloster lag im ehemaligen Grenzgebiet zwischen Russland und Schweden, wurde es oft angegriffen und verwüstet, es brannte bis auf die Grundmauern aus. Man restaurierte es, und 1812 kam das Kloster unter die Herrschaft des russischen Großfürstentums Finnland.
Die Kathedrale des Klosters liegt in einem Innenhof
Zeitweise lebten 3000 Mönche in der Anlage. 1917 wurde Finnland unabhängig von der russisch-orthodoxen Kirche. 1940 im Winterkrieg evakuierte man die verbliebenen 150 Mönche nach Uusi Valamon, wo diese das neue Kloster gründeten, das ich vor einigen Tagen besucht habe.
Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Insel als sowjetische Militärbasis und das Kloster als Invalidenheim, Offizierskasino und Lager genutzt. Dann führten Grenzverschiebungen dazu, dass die Insel Walaam und der ganze Ladogasee nunmehr auf russischem Staatsgebiet liegen.
In den 1980er Jahren lockerte man die Beschränkungen für die orthodoxe Kirche, das Kloster wurde 1989 wiederbelebt und die Einrichtungen jahrelang restauriert.
Eingang zum Innenhof mit der prächtigen Kathedrale
Hervorragend restaurierte Kathedrale
Für die Rückfahrt bin ich rechtzeitig zurück am Boot. Wir müssen aber noch auf zwei Mitfahrende warten, die sich um eine halbe Stunde verspäten. Der Bootseigner warnt vor zunehmendem Sturm, und das Warten auf die beiden Fehlenden nervt mehr und mehr.
Noch ist es ruhig auf den Kanälen zwischen den Inseln
Als wir dann die Inselgruppe verlassen, haben Sturm und Wellengang bereits beträchtlich an Fahrt aufgenommen. Nun ist auch mir klar, warum das staatliche Schiff heute Morgen nicht auslaufen durfte! Wir werden aufgefordert uns festzuhalten. Unser Boot nimmt tapfer jede Welle, und eine Weile lang sehe ich statt des Horizonts den Himmel, um danach mit Schwung wieder auf die Wasseroberfläche zu krachen. Das einzig Gute ist, dass mir vor lauter Anspannung gar nicht übel werden kann. Die nächste Welle erwischt uns voll, und ein Wasserschwall ergießt sich über uns. Gott sei Dank ist unser Bootsmann immer noch guter Dinge. Am Ende sind wir alle froh, diese abenteuerliche Fahrt überstanden zu haben.
Heil wieder zurück an Land
Morgen geht es weiter nach Sankt Petersburg. Ich muss schauen, dass ich dort eine BMW-Werkstatt finde, denn die nächste Inspektion ist unbedingt dran.
Katrin wird übermorgen für vier Tage nach Sankt Petersburg kommen, sodass ich mich besser vorher ums Motorrad kümmere. Und tatsächlich werde ich fündig – nach zweieinhalb Kilometern zu Fuß von meiner Unterkunft aus gelange ich zur hiesigen Werkstatt, in die ich mein Motorrad am kommenden Tag zum Durchchecken bringe.
Sankt Petersburger BMW-Werkstatt
Toreingang zum Inn Merion
Das „Inn Merion“ in der Povarskoy pereulok 11 bietet in einem Gebäude mit Renovierungsstau auf dem Hinterhof nur sechs oder sieben Zimmer in erstaunlich kleinem Format: Auf etwa zwölf Quadratmetern ist unterhalb eines unter der Zimmerdecke eingezogenen Alkovens auch noch Platz für eine Garderobe, ein Bad sowie eine winzige, aber funktionale Küchenzeile.
Mein Motorrad hat jedoch einen sicheren Platz in dem Innenhof, in den man nur durch ein Code gesichertes Tor gelangt.
Typische Regenwasserentsorgung – dicke Fallrohre zieren die Häuserwände
Eingang zum Art Center Puschkinskaja 10
Der Name „Puschkinskaja 10“ klingt zwar wie die Adresse, aber Zugang zu diesem alternativen Mikrokosmos zwei Straßen vom Inn Merion entfernt findet man nur durch eine marode Toreinfahrt in der Parallelstraße. 1989 besetzten Künstler und Musiker das leerstehende Haus, und die Stadt zeigte sich kompromissbereit: Während die Wohnungen im Vorderhaus teuer saniert verkauft wurden, ging das heutige Kunstzentrum an eine Stiftung der etwa 40 Künstler – aber eben mit Eingang von der Rückseite.
Eine inzwischen historische Collage
Fahrrad-Installation
Das Inn Merion, in dem wir abgestiegen sind, liegt benachbart zur Vladimirskaya, die von Gläubigen stark frequentiert ist.
Die Vladimirskaya
Trotz ihrer hübschen Barock-Optik zeichnen die Kathedrale ganz typische Eigenschaften des russischen Kirchenbaus aus: Der 64 Meter hohe Glockenturm steht separat, die hohe Hauptkuppel wird von vier Eckkuppeln umrahmt – und die Kirche ist zweistöckig: Über einer niedrigen, im Winter leichter zu beheizenden Unterkirche erhebt sich die helle Oberkirche. Leider sind mehrere Türme zurzeit verhüllt, aber die einst schwarzen Kuppeln erstrahlen schon jetzt in glänzendem Gold.
Von der Vladimirskaya ist es ein Katzensprung zum Newskij Prospekt, der Schlagader Sankt Petersburgs.
Er ist eine der ältesten Straßen der Stadt, und auf seinem drei Kilometer langen Hauptabschnitt liegt ein historisches Gebäude neben dem anderen.
Newskij Prospekt
Schön restauriertes Gebäude an der Fontanka
Die Fontanka ist einer von 93 Flüssen und Kanälen in dieser schönen Stadt.
Anitschkow-Brücke mit „Rossebändigern“
Die Anitschkow-Brücke des Newskij Prospekt überspannt die Fontanka. Zwischen 1840 und 1850 schuf ein deutschbaltischer Bildhauer die vier bronzenen Pferdeskulpturen, die zeigen, wie ein entblößter junger Mann ein Pferd bändigt. Während der Belagerung Leningrads waren die Skulpturen in der Nähe vergraben.
Markantes Feinkostgeschäft der Gebrüder Jelissejew
Feinkost gibt es schon seit 1903 bei Jelissejew
1903 eröffneten die Brüder Jelissejew ihren Gourmet-Tempel mit einem fünf Stockwerke hohen Schaufenster und üppigstem Jugendstil-Dekor.
Das prachtvolle, schon ins Kitschige abgleitende Interieur mit riesigen floralen Lampenkompositionen wurde sorgfältig restauriert und zieht heute vermutlich mehr Menschen an als das Angebot an Delikatessen – abgesehen vielleicht von der hausgefertigten Schokolade.
Denkmal Katharina die Große
Direkt gegenüber befindet sich in einer Grünanlage das 1832 gebaute, mächtige Aleksandrinskij-Theater, vor das man ein 15 Meter hohes Denkmal für Katharina die Große gesetzt hat.
Der als Prinzessin Sophia von Anhalt-Zerbst geborenen Kaiserin zu Füßen sitzt eine illustre Auswahl aus acht Herren und – offenbar als Anstandswauwau – eine Dame.
Am Kaufhaus-Karree Gostinyj Dwor
Uriger Laubengang im Obergeschoss des Gostinyj Dwor
Das UNESCO-Weltkulturerbe Gostinyj Dwor / Гостиный Двор von 1761 nimmt bei einer Fassadenlänge von mehr als einem Kilometer fast ein gesamtes Stadtviertel ein. Ein Brand 1990 sorgte für eine vollständige Umgestaltung des Innenraums, sodass es heute an die 200 meist exklusive Einzelgeschäfte gibt.
Schon Alexandre Dumas bezeichnete den Newskij Prospekt als „Straße der religiösen Toleranz“, denn hier finden sich mehrere Kirchen unterschiedlicher Zugehörigkeit.
Katholische St. Katharina Kirche am Newskij Prospekt
Die St. Katharina wurde von 1763 bis 1783 errichtet und 1938 geschlossen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde das Gebäude 1992 wieder für den römisch-katholischen Gottesdienst geöffnet und restauriert.
Ev.-lutherische Petrikirche
Im Innern der Petrikirche
Ein Blick in die 1838 eingeweihte St.-Petri-Kirche ist lohnend.
Mit ihren 700 Plätzen ist sie heute die größte evangelische Kirche Russlands.
Einen gewaltigen Einschnitt in das Leben der Petrigemeinde, deren Kirchengebäude damals 3000 Plätze umfasste, brachte das Jahr 1917 mit der Oktoberrevolution. Verfolgungen und Verhaftungen führen dazu, dass ein Großteil der Gemeindemitglieder floh, und die kirchlichen Gebäude wurden verstaatlicht.
Unter Stalin kam dann das Aus für die Kirchengemeinde: 1937 wurde die Kirche geschlossen und zweckentfremdet, die Pastoren verhaftet und erschossen.
In der Chruschtschow-Ära wurde das Gotteshaus 1962 zu einem Schwimmbad umgebaut; anstelle des Altars erhob sich ein Sprungturm. Auf den Tribünenplätzen, die es nach wie vor gibt, nehmen wir eine Weile Platz.
30 Jahre später, nach Rückgabe der Kirche an die Gemeinde, wollte man das Betonbecken abreißen. Das jedoch hätte zu einem Einsturz des Kirchengebäudes geführt. Daher deckte man das Becken nur mit einem neuen Boden ab, auf dem nun Bänke und Altar stehen. Dadurch ist der Kirchenraum heute zehn Meter weniger hoch als ursprünglich.
Die ehemalige Walcker-Orgel, an der Peter Tschaikowsky einst Unterricht erhielt, ist 1939 abgebaut worden und seither verschollen. Seitdem nutzt man eine Lehrorgel.
Armenische Kirche in klassizistischem Stil
Zu Sowjetzeiten wurde die armenische Kirche als Kino genutzt.
Kasaner Kathedrale am Newskij Prospekt
Die Kasaner Kathedrale, ein großes russisch-orthodoxes Kirchenhaus von 1801, wird von einer Kolonnade aus 96 korinthischen Säulen flankiert. Damit sollte von dem Umstand, dass zur Hauptstraße nur ein Seiteneingang führt, abgelenkt werden. Denn traditionell liegt bei orthodoxen Kirchen der Altar im Osten und der Haupteingang im Westen.
Altar in der Kasaner Kathedrale
Grand Café am Newskij Prospekt
Im urigen Grand Café mit seinem Gewölbe und alter Holzvertäfelung machen wir eine Verschnaufpause.
Singer-Haus mit auffallender Glaskuppel
Das Singer-Haus ist der Blickfang schlechthin am Newskij Prospekt. Die Petersburger kennen das Gebäude mit der extravaganten hohen Glaskuppel seit bald 100 Jahren als Haus des Buches – hier residiert eine große Buchhandlung. Der Besuch lohnt allein schon wegen des eleganten Jugendstil-Interieurs.
In der ersten Etage der Buchhandlung
Das Singer-Haus war ursprünglich die Russlandzentrale der US-Firma Singer, damals Weltführer bei Nähmaschinen, und passte zum innovativen Image des Konzerns. Es bekam 1904 als erstes Haus ein tragendes Eisenskelett wie ein Wolkenkratzer. Die für Petersburger Häuser so typischen dicken Regenrohre fehlen, denn sie sind in die Fassade integriert.
Cartier mit seinen roten Markisen an der Mojka
Boote fahren unter engen Brücken hindurch
Auferstehungskirche
Die Christi-Auferstehungskirche auf dem Blute, so der offizielle Name, wurde an jener Stelle gebaut, an der 1881 ein Bombenattentat auf Zar Alexander II. geschah. Der Turm mit der goldenen Kuppel erhebt sich genau dort, wo auf der Uferstraße der Anschlag passierte.
Baldachin über dem Anschlagsort
Ein Jaspis-Baldachin überspannt ein Stück der Original-Uferbrüstung und das Straßenpflaster, auf dem der tödlich verwundete Kaiser sein Blut vergoss – womit sich der Name der Kirche erklärt.
Stilistisches Vorbild der Kirche ist die Basilius-Kathedrale auf dem Moskauer Roten Platz. Wie in alten orthodoxen Kirchen üblich scheint das Innere der Kirche bis in die hohe Kuppel mit ikonischen Fresken ausgemalt zu sein. Doch alle Heiligenbilder und Ornamente sind Mosaike! Mehr als 7000 Quadratmeter Wandfläche wurden in dieser russisch traditionellen Technik in zehn Jahren Arbeit mit winzigen bunten Steinplättchen verkleidet.
Keine Wandmalereien, sondern ausschließlich Mosaike
Altarraum, ebenfalls mit Mosaiken verziert
Stadtduma
Der markante fünfeckige Turm der Stadtduma wurde 1804 errichtet. Die seltsame Metallkonstruktion auf der Spitze ist ein optischer Telegraf aus den 1830er Jahren: Bei gutem Wetter konnten damit innerhalb einer Viertelstunde Nachrichten ins 1200 Kilometer entfernte Warschau übermittelt werden.
Puschkin-Denkmal vor dem Russischen Museum
Ein 34 Meter hoher Obelisk markiert das Ende des Newskij Prospekt