Während meines viertägigen Aufenthalts in Belém hole ich Erkundigungen für die geplante Schifffahrt ein.
Suelen Amorim, eine sehr freundliche Frau am Schiffsticket-Schalter, spricht leider nur Portugiesisch, holt sich aber jemand Englisch sprechenden hinzu, der hin und her übersetzt. Als klar ist, dass ich eine Kabine für mich benötige, erklärt man mir, dass ich dafür den doppelten Preis zu zahlen habe. Das ist es mir wert, denn immerhin werde ich fünf Tage mit dem Schiff unterwegs sein.
Das Fahrrad kann ich offenbar mitnehmen, aber wird es in die Kabine passen? Ich möchte sie mir ansehen, und Suelen lässt keine Anstrengung aus, um mir dies zu ermöglichen: Da wird mit Verantwortlichen telefoniert, und schließlich schließt sie sogar vorübergehend ihren Schalter, um mich zum Schiff zu begleiten.
Dort zeigt man mir eine Minikajüte mit Etagenbett für zwei Personen und französischem Klo ohne erkennbare Spülung – das geht gar nicht für einen so langen Zeitraum! Meine Ablehnung steht mir offenbar im Gesicht geschrieben, deshalb führt man mich zu einer „Suite“ mit Doppelbett, Toilette, Dusche, Kühlschrank und Aircondition. Eine kurze Prüfung ergibt, dass diese Unterbringung noch buchbar ist – wunderbar! Ob ich jedoch das Fahrrad auf das zweite Oberdeck wuchten kann, weiß ich noch nicht. Da die VISA-Karte nicht akzeptiert wird, muss ich Bargeld besorgen.
Eine Stunde später erhalte ich für 1100,00B$ (das entspricht 270 €) mein Ticket, exklusive Verpflegung.
Das Fahrrad hieven wir mit vereinten Kräften aufs Oberdeck.
Man braucht einige Stunden mit dem Schiff von Belém zur 48.000 Quadratkilometer großen Insel Marajó – eine Insel mit ursprünglicher Natur und riesigen Wasserbüffelherden in der Inselhälfte, die in der Regenzeit ab Dezember für ein Vierteljahr überschwemmt bleibt.
Der Wald reicht auf beiden Seiten des Flusses bis ans Wasser – eine wunderschöne Landschaft.
Noch ist hier an Deck Platz zum Kartenspielen für Fahrgäste und Crew.
Ricardo ist Brasilianer und spricht Englisch. Die Kleine auf seinem Arm ist mit ihrer Familie an Bord, und inzwischen kennt man sich.
Leila kommt aus Deutschland und reist allein. Oft sieht man sie mit den Kindern an Bord zu deren Freude irgendwelche Wortspielchen machen.
Immer wieder legen kleine Boote mit Waren am Schiff an und vertäuen ihr Boot während voller Fahrt, um ihre Waren anzubieten. Diese Händler verkaufen Mangos, Garnelen, selbst hergestellte Sirup ähnliche Getränke und Anderes.
Einige Leute an Bord werfen wasserfeste Tüten mit Kleidung, Süßigkeiten und Ähnlichem ins Wasser, die Anwohner mit ihren Kanus einsammeln.
Auch wir legen hier für einen Moment an, um Waren aufzunehmen. In den Styroporkisten wird auf Eis gelagerter Fisch transportiert.
Hin und wieder sehen wir für einen ganz kurzen Augenblick einzelne Delfine. Sie „spielen“ nicht neben dem Schiff, sondern tauchen sofort wieder ab, sodass ich keinen von ihnen vor die Linse bekomme.
Der Regenwald befindet sich nun weit vom Ufer entfernt – vermutlich aufgrund von Brandrodung; Brandgeruch liegt immer wieder in der Luft.
In Santarém, 700 Kilometer westlich von Belém, heißt es Abschied nehmen; bei uns vieren herrscht eine gedrückte Stimmung, denn drei verlassen leider nach einer letzten Nacht an Bord, nachdem wir erst spätabends im Hafen ankamen, das Schiff. Wie schade!
Santarém, mit einer guten viertel Millionen Einwohner, liegt etwa in der Mitte zwischen Manaus im Westen und Belém im Osten. Hier mündet der Rio Tapajós in den Amazonas.
Die Menschen leben hauptsächlich von Rinderzucht, Fischfang, Keramikartikel- und Baumwollhängematten-Produktion. Außerdem handeln sie mit Paranüssen, Pfeffer, Sojabohnen und Jute. Selbst ein wenig Kautschuk wird noch umgeschlagen.
Da ich nicht weiß, wann das Schiff morgens wieder ablegt, traue ich mich nur auf einen kleinen Spaziergang an Land.
Und als ich wieder an Bord komme, sieht der einzige Schattenplatz an Deck vor lauter neu installierten Hängematten kunterbunt aus.
Das Schiff wird richtig voll. Inzwischen hängt selbst in den Gängen alles voller Hängematten, die über- und untereinander angebracht sind – man liegt hier sozusagen auf mehreren Etagen …
Aber diese Hängematten haben Eigentümer, und so knüpfe ich neue und sehr nette Kontakte.
Jörg ist Fotograf und einer der Hängemattenbesitzer und hat somit keine Möglichkeit, teure Reiseutensilien sicher zu verwahren. Darum bittet er mich, seine Kamera in meiner Kabine aufzubewahren – eine Leica, die er normalerweise an einem Kabel, das er durch seinen Ärmel führt und mehrfach um seinen Körper wickelt, gegen Diebstahl schützt.
Während der Fahrt nach Manaus haben wir viele Gespräche, und Jörgs Erzählungen sind wirklich interessant. So begleitete er vor vier Jahren den Dalai Lama während dessen Deutschlandbesuchs und war tief beeindruckt von dieser Begegnung. Er gab ihm daraufhin das Versprechen, ein Portrait über Tibet zu machen. Aus seinem hunderttägigen Aufenthalt im Hochland in Zentralasien entstand das Buch „Hundert Tage Tibet: Das Versprechen“.
Diesen beeindruckenden Band stellt er bundesweit auf Lesungen und in regionalen TV-Sendern vor (http://natgeopraesentiert.de/events/hundert-tage-tibet/).
In Begleitung von Sepp, der seit einigen Jahren in Brasilien lebt, ist Jörg nun mit seiner Kamera auf ungewöhnlichen Pfaden in Südamerika unterwegs, und ich bin sicher, eines Tages darüber in einem weiteren Buch lesen zu können.
So etwas wäre auf keinem unserer Flüsse denkbar: ein Frachter schiebt eine Ladung mit Containern auf Lkw-Hängern auf dem breiten Amazonas.
Am Sonntag legen wir im Hafen von Parintins an. Parintins ist die zweitgrößte Stadt im brasilianischen Bundesstaat Amazonas und auf dem Wasserweg noch 461 Kilometer von Manaus entfernt. Wir sind in einer anderen Zeitzone, und deshalb verpenne ich glatt das Frühstück!
Fünf Stunden später erreichen wir den Zusammenfluss zweier gigantischer Ströme.
Ungefähr zehn Kilometer vor Manaus fließen der Rio Solimões, wie der Amazonas bis hierher genannt wird, und der Rio Negro am Encontro das Aguas (Treffen der Wasser) zusammen. Die Farben der beiden Flüsse sind sehr unterschiedlich. Der Rio Solimões mit seiner bräunlich-gelben Färbung aufgrund der vielen mineralischen Schwebstoffe wirkt eher schmutzig. Der Rio Negro hingegen sieht wegen der Säuren, die bei der Zersetzung von Pflanzen entstehen, schwarz aus.
Der Amazonas, größter Fluss der Erde, begegnet hier dem zweitgrößten Nebenfluss der Erde. Beide fließen elf Kilometer im selben Flussbett nebeneinander her, bevor sich ihr Wasser vermischt und der Fluss wieder eine einheitliche Farbe aufweist.
Nach 1713 Kilometern an Bord erreichen wir Manaus, die Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Amazonas, die mitten im Dschungel liegt.
Ich merke meine Oberschenkel wieder, und beim Fahren zum Hostel wird es so arg, dass ich, dort angekommen, kaum die Treppe bewältige. Sepp und Jörg wohnen, ebenso wie die drei Mädels vom Schiff, im selben Hostel und tragen mein Fahrrad hinein.
Am Abend verabreden wir uns zu sechst zu einem Abschiedsessen.
Es war eine gute gemeinsame Zeit an Bord und hier in Manaus, und so schleicht sich schon ein wenig Wehmut in unseren Abschied ein, als nun jeder seiner Wege geht.