Ich komme in die Provinz Guizhou. Sie ist ein gebirgiges Becken, in dem es einem alten Spruch zufolge „keine drei Fuß flachen Landes, keine drei Tage ohne Regen und keinen Menschen mit drei Yuan“ gibt. Von der Außenwelt schwer zugänglich gilt sie als die ärmste Provinz Chinas.
Nach knapp 70 Kilometern erreiche ich die Stadt Dushizhen und steige in einem kleinen Haus ab. Offenbar ist dies Hotel nicht für Ausländer gedacht, und ich erlebe zum ersten Mal, dass ich zwecks Registrierens zur Polizei begleitet werde.
Am Folgetag zeigt mein Tacho den 10.000sten Kilometer meiner Tour seit April 2013 an. Ich bin inzwischen mitten in den Bergen: Serpentinen und schlechte Wegstrecke erschweren meine Reise. Bis nachmittags habe ich mehr als 20 Kilometer nur geschoben. Ich habe keine Power, und eine Erkältung ist auf dem Vormarsch.
Gern würde ich früh eine Unterkunft suchen, aber es gibt weit und breit nichts. Jede ebene noch so kleine Fläche ist landwirtschaftlich genutzt, sodass ich nicht mal mein Zelt aufschlagen kann …
Mittlerweile ist es regnerisch und diesig. Endlich komme ich zur Passhöhe.
Die nun folgende 10-Kilometer-Abfahrt ist tierisch: es geht durch zahlreiche Serpentinen, und ich erkenne in der zunehmend hereinbrechenden Dunkelheit Schluchten zu beiden Seiten. Das muss toll aussehen, aber es ist bereits zu dunkel, und ich kann neben der Straße nicht mehr wirklich was erkennen. Endlich erreiche ich gegen 20 Uhr eine kleine schäbige Unterkunft, in der ich notgedrungen eine Nacht bleibe.
Ich bin ziemlich sicher, dass diese Unterkunft nicht für Touristen vorgesehen ist, aber das schert hier niemanden – auch mich nicht, denn mein Akku ist mehr als leer …
Morgens kommt der Wirt unaufgefordert in mein Zimmer um zu gucken, wie weit ich mit dem Packen bin. Er entdeckt ein Foto auf meinem Tablet-PC, schmeißt sich mit seiner Zigarette im Mundwinkel auf das Bett, in dem ich aus hygienischen Gründen in meinem Schlafsack übernachtet habe, und guckt sich weitere Fotos an. Eigentlich wollte ich den Platz ja nutzen, um meine Sachen einzupacken, aber das scheint ihn überhaupt nicht zu stören.
Ich bin froh, als ich endlich wieder im Sattel sitze, zumindestens vorübergehend.
Viele Höhenmeter rauben mir den Spaß am Radfahren, denn ich schiebe mehr als zu fahren, und heute komme ich auf mehr als 20 Kilometer Schieben – es ist ein ständiges Auf und Ab!
Meine neue Höchstgeschwindigkeit liegt nun bei 66 km/h.
In Zunyi esse ich abends im Hotel. Ich bin gerade mal fertig mit dem Essen, da stürzen sich bereits die Mitarbeiter auf mich. Viele Gruppen- und auch Einzelfotos entstehen mit Körperkontakt, oft Wange an Wange; Berührungsängste gibt’s jedenfalls nicht!
Guizhou ist an 220 Tagen im Jahr bewölkt und damit die Provinz mit den meisten Wolkentagen. Die einheimischen Mopedfahrer wissen sich zu helfen. Die Trittfläche der Mopeds dient auch zum Beladen mit sperrigem Gut.
Dieser Mountainbike-Fahrer stoppt für ein Gespräch, spricht aber kein Englisch, und so nutzt er seine Smartphone-Übersetzung. Auf diesem Weg erfährt er von meiner Reise und ist offensichtlich beeindruckt. Er verabschiedet sich später per Handschlag, bevor er weiterfährt.
In Zhazuo habe ich nicht selbst initiierten Kontakt zur Polizei: ein Uniformierter und ein Polizist in Zivil kommen in mein Hotelzimmer und kontrollieren mein Visum. Der Stempel im Pass wird fotografiert. Keiner der beiden spricht Englisch. Vermutlich hat das Hotel meinen Aufenthalt angegeben.
In dem Lokal, das ich abends aufsuche, kocht man selbst. Auf einem Tablett hole ich mir Zutaten vom Büfett: Pilze, kleine Fleischstückchen gefüllt mit Reis, Tofu, Rindfleisch, Salat, eine Schale Erdnüsse, ein Schälchen mit Gewürzen.
Die Bedienung zeigt mir, wie man das Essen zubereitet. Mit einer Schöpfkelle fische ich einen Bissen heraus, tunke ihn mithilfe der Stäbchen in die Gewürzmischung und mache einen Umweg über die Reisschüssel zu meinem Mund. Umgehend erkennt man die Schwierigkeiten, die ich habe und organisiert mir einen Löffel.
Freundlicherweise bringt man mir weitere Leckereien an den Tisch und bereitet sie auch gleich für mich zu; die anderen Gäste müssen das selbst tun. Möglicherweise wirke ich etwas hilflos …
Es mundet, und endlich werde ich mal wieder satt.
Gut gesättigt beobachte ich einige andere Gäste. Da isst zum Beispiel ein Mann mit fünf anderen zusammen an einem Tisch. Offenbar missfällt ihm der Inhalt seiner Kelle. Er dreht sich um und leert diese auf dem Fußboden aus, sodass sich der Inhalt zu den etwa 20 Kleenex-Tüchern gesellt, die nach Gebrauch ebenso entsorgt werden … Es gibt Dinge, an die ich mich nicht gewöhnen werde.
Zum Frühstück erhitze ich Wasser im Wasserkocher, den es in fast jedem Hotelzimmer gibt, und füge meinen Instantkaffee hinzu. Das Hotelfrühstück beinhaltet einen Tetrapack-Joghurt und ein abgepacktes klebrig-süßes Teigstück. Ich bezahle hier für ein Doppelzimmer, weshalb ich gestern Abend die doppelte Ration an Frühstückszubehör ausgehändigt bekommen habe. Da ich täglich Bananen einkaufe, belege ich das Ganze mit Bananenscheiben.
Heute fahre ich durch eine 15 Kilometer lange Baustelle. Laufend muss ich Lkw ausweichen, und zu fahren ist oftmals gar nicht möglich.
Am Abend komme ich nach Guiyang. Der Name der Stadt mit dreieinhalb Millionen Einwohnern bedeutet „wertvoller Sonnenschein“. Ich bin in der Hauptstadt der Provinz Guizhou im Südwesten der Volksrepublik.
Mit total verdrecktem Fahrrad stoppe ich bei einer Lkw-Waschanlage, deren Hof gerade gereinigt wird. Ich frage nach Eimer und Bürste, aber man reinigt mein Rad mit einem Sprüh-Wasserstrahl; Hochdruckreinigung hätte ich auch nicht zugelassen. Die Packtaschen säubere ich selbst mit Wasser und Bürste.
Mit einem Tuch trocknet der Chef höchstpersönlich mein Fahrrad. Auf meine Frage, was ich bezahlen soll, heißt es, das sei Service und man hätte das gerne für mich gemacht!
Wenigstens mein Fahrrad ist sauber, als ich im Hotel ankomme.
Ein Lehrer, der ebenfalls Gast dort ist, übersetzt für mich und trägt zusammen mit der Frau von der Rezeption meine Taschen in mein Zimmer, sodass ich nur mein Fahrrad in den ersten Stock schleppe.
Ich nehme ein etwas teureres Zimmer nach hinten raus, damit ich mal wieder in Ruhe schlafen kann. Der Preis beträgt 158 Yuan, das sind etwa 20 Euro.
Dann drückt mir der Lehrer eine Tasse mit Tee in die Hand, den er selbst anbaut. Und er gibt mir seine Visitenkarte für den Fall, dass ich mal seine Hilfe benötige.
Mit seiner Unterstützung bestelle ich ein Taxi für morgen früh und eine Aufenthaltsbestätigung vom Hotel für das PSB – Büro für öffentliche Sicherheit (Public Security Bureau), wo ich unbedingt mein Visum verlängern lassen muss. Laut Lonely Planet braucht das sieben Arbeitstage, und dummerweise liegt auch noch der 1. Mai dazwischen, der auch in China gesetzlicher Feiertag ist.
Ganz bewusst fahre ich nicht mit meinem Fahrrad zu diesem Büro, da Bus, Zug und Flugzeug die üblichen Reisemittel von Touristen sind, nicht aber das Fahrrad. Und ich habe keine Lust, mir unnötige Schwierigkeiten einzuhandeln.
Erste Probleme entstehen, weil das Büro für öffentliche Sicherheit, das ich aufsuche, nicht das richtige ist. Außerdem reicht die Hotelbestätigung über meinen Aufenthalt dort nicht aus. In einem Polizeifahrzeug fahren wir also zurück zu meiner Unterkunft, um das zu klären. Da ich nicht sicher bin, ob die Polizisten nicht vielleicht wieder in mein Zimmer mitkommen werden, beantworte ich ihre Fragen nach meinem Reisemittel lieber mal wahrheitsgetreu – hoffentlich geht das gut!
Im Hotel können die Unklarheiten bezüglich meines Aufenthalts geklärt werden, und die Polizisten verabschieden sich. Das nächste Taxi bringt mich quer durch die Stadt zu einem weiteren Büro für öffentliche Sicherheit. Ich bezahle für das Ausstellen des Visums und lasse meinen Reisepass dort, allerdings sehr ungern. Man sagt mir, dass ich mich zwei Tage später telefonisch nach dem Stand der Dinge erkundigen soll.
Und so nutze ich die Zeit für Sightseeing.
Mao Zedong gilt als bedeutender Revolutionär, militärischer Stratege und politischer Anführer. Er ist auf chinesischen Banknoten und an prominenter Stelle am Platz des himmlischen Friedens in Beijing abgebildet, wo er am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China proklamiert hatte. Die riesige Mao-Statue in Guiyang ist eine der größten überhaupt.
Der Jiaxiu-Pavillon ist die wohl bekannteste Sehenswürdigkeit von Guiyang. Der 20 Meter hohe Pavillon des Literaten im Stadtzentrum wurde im Jahr 1689 erbaut.
Der Cuìwēi Gōngyuán ist ein kleiner Park mit einstigem Tempel und hübschen Pavillons.
Neben dem touristischen Guiyang sammle ich auch viele ganz andere Eindrücke.
Im Lonely Planet heißt es, in der Provinz Guizhou würde viel Hund gegessen. Und wer den besten Freund des Menschen nicht auf seinem Teller haben wolle, müsse unbedingt den Satz „wo bu chi gourou“ (Ich esse kein Hundefleisch) lernen.
Als Delikatesse gilt die Chinesische Weichschildkröte, die kurz vor der Ausrottung steht; sie wird auch in der traditionellen chinesischen Medizin verwendet. Die Nachfrage nach diesen Tieren ist demzufolge recht hoch, und allein in China werden schätzungsweise 300 Millionen Exemplare jährlich verspeist. Besonders problematisch, weil alles andere als einem ethisch vertretbaren Umgang mit Lebewesen entsprechend, ist das nicht artgerechte Versorgen der Tiere, nachdem sie gesammelt worden sind. Mit unserem Tierschutz ist das absolut unvereinbar, und hier muss dringend gehandelt werden!
Auch die medizinische Versorgung unterscheidet sich deutlich von der, die wir in Europa kennen.
Über die ganz eigene Windelfrei-Kultur habe ich ja an anderer Stelle bereits berichtet. Neu für mich ist diese Art des Kleinkind-Transports zu Fuß.
Dieser Mann treibt den Kreisel mit Peitschenhieben an. Offenbar tut er das nur so für sich selbst, denn er hat kein Behältnis für Spenden dabei.
Oft habe ich schon morgens um sieben Uhr Leute gesehen, die Federball spielen oder Gymnastik machen, oder Menschen, die in Parks mit ihrem Partner tanzen. Heute Morgen begegnet mir ein Fußgänger, der Stimmübungen wie vor einem Gesangsbeitrag macht. Niemand reagiert oder belächelt ihn, sondern das wird als völlig normal empfunden; man lässt ihn einfach gewähren.
Nun habe ich schon zwei Tage in Guiyang verbracht.
Als ich im Büro für öffentliche Sicherheit anrufe, sagt man mir, dass mein Visum bereits fertig zum Abholen ist. Wow, nur 48 Stunden, das ging ja unglaublich schnell!
Ich besorge noch Zahnpasta und einige andere Kleinigkeiten wie Schokoriegel für unterwegs. Leider tätige ich auch einen Fehlkauf, denn bei einem vermeintlichen Erdnussröster – es dampft nur so von seinem Ofen – kaufe ich eine Tüte voll, aber die Erdnüsse sind feucht und schmecken wirklich nur grässlich. Sie sind ungenießbar, sodass ich sie entsorge.
Moin, Frank!!
Dein Bericht vom 5. Mai ist bei uns in Wietzenbruch angekommen. Vielen herzlichen Dank.
Wir sind immer wieder überrascht über die Esskultur, die medizinischen Versorgungsmöglichkeiten, über die Art des Güter- und Kindertransportes und immer wieder über die freundlichen und anschmiegsamen Menschen, mit denen du zu tun hast.
Obwohl ja die fremde Kultur ein wenig Anpassungsvermögen erfordert und die hügelige Landschaft erhöhte Kraftastrengungen, machst du meistens einen ausgeglichenen und unbeschwerten Eindruck auf den Fotos,
Was mag das später wieder zu Hause für eine Umstellung sein, wenn du eure behagliche Wohnung betrittst, Kartoffeln, Braten, Rotkohl essen kannst und dazu ein Glas Bier. Du musst auf das Schieben eines überladenen Fahrrades verzichten und dafür mit einem, kllimatisiertem, elegantem Auto bequen „nach“ Real fahren, wo es alles gibt.
Das Klima ist auch ausgeglichen und du weißt sicher, wo du die nächste Nacht verbringst. Verzichten musst du auf Frösche und einen kräftigen Hundebraten. Es gibt ine Zahnbehandlung in einer klimatisierten Praxis und nicht am Gartenzaun neben dem Gehweg. Und wenn es um Passangelegenheiten geht, im Rathaus Celle in 5 Minuten. Du wirst auch denken: „Was soll das? Das ließe sich doch in 2 Wochen erledigen. Warum diese panikartige Hast der Celle=“
Wirst du diese krassse Umstellung bewältigen können? Das wird dauern. Aber du wirst es schaffen!
HIer in Celle ist alles so wie seit 100 Jahren. Man muss ja nicht immer alles ändern, zumal sich alles so gut bewährt hat. „Spontanes will wohlüberlegt sein!“
In der nächsten Woche Woche ist wieder Seniorentag am Alten Plan. Da wird bestimmt wieder das Gespräch auf unseren „Weltenbummler Frank“ anklingen. Das ist ja immer ein aufregendes Thema.
Wenn du wieder zu Hause bist, kannst du ja aus erster Hand berichten. Es wird wieder spannend.
Lieber Frank, bleib froh und munter. Vertritt weiterhin unser Land als ein würdiger Vertreter.
Viele herziche Grüße mit Ahoi, bergauf, weidmannsheil, Mast- und Schotbruch, Gut Holz, Petiri Heil und Glückauf
senden dir die Distelcamper aus der Wiethenbronx Adolf, Leni, Kathrin und Felix