Am 29. Juli fliegen Katrin und ich nach Buenos Aires, jener Stadt, die sich 75 Kilometer entlang dem 120 Kilometer breiten Rio de la Plata zieht, bevor dieser in den Atlantik einmündet. In der Liste der größten Metropolregionen der Welt schafft es der Großraum der Hauptstadt Argentiniens mit etwa 13 Millionen Einwohnern auf Platz 21.
Wir quetschen das Fahrrad samt Gepäck in ein viel zu kleines Taxi und fahren zu unserem Hotel im Tangoviertel San Telmo. Nach einer schnellen Dusche beginnen wir mit unserer Stadterkundung, die einige Tage in Anspruch nehmen und am Ende unserer gemeinsamen Rundreise fortgesetzt wird.
Das Café Tortoni von 1858 gilt als das älteste der Stadt. Laut lonely planet ist es der Cadillac unter den Cafés und beliebter, als ihm gut tut. Angeblich sei der Laden teuer und die Kellner mürrisch, und man muss manchmal lange warten, bis man rein kommt. Tatsächlich sehen wir in den Folgetagen jeweils Warteschlangen vor dem Tortoni, aber wir haben Glück – es ist nichts los am Morgen.
Der Kaffee ist gut, die Croissants warm und lecker. Und das Flair des Cafés ist unbestritten vorhanden. Abends gibt es hier Tangoshows zu sehen.
Die Manzana de las Luces, eine im 17. Jahrhundert erbaute Klosteranlage der Jesuiten mit Kirche, Klosterschule und Hauptverwaltung, umfasst einen gesamten Häuserblock, also etwa 100 mal 100 Meter.
Die dazugehörige Jesuitenkirche San Ignacio de Loyola ist die älteste Kirche in Buenos Aires; sie wurde 1675 eingeweiht. Heute befindet sich in der ehemaligen Klosteranlage das Elitegymnasium Colegio Nacional de Buenos Aires.
Die Casa Rosada, der Regierungspalast an der Ostseite der Plaza de Mayo, die als Herz und Seele von Buenos Aires gilt, wurde auf den Resten der alten Stadtbefestigung erbaut und häufig verändert. Das Gebäude ist offizieller Sitz des amtierenden Präsidenten, wird allerdings heute nur mehr zu formellen Anlässen verwendet.
Angeblich verdankt die Casa ihren Anstrich dem ehemaligen Präsidenten Domingo F. Sarmiento, der die Farben der verfeindeten Unitarier und Föderalisten, weiß und rot, 1873 symbolisch mischen ließ, um so die Einheit der Nation zu demonstrieren.
Von dem Balkon sprach einst Eva Perón, zweite Frau des Präsidenten Juan Perón, zu Tausenden ihrer Anhänger.
Gegenüber der Casa Rosada steht das Cabildo, der Sitz der ersten Räte in Buenos Aires nach Absetzen des spanischen Vizekönigs. Das Gebäude stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert.
Das Centro Cultural Néstor Kirchner ist das größte Kulturzentrum Lateinamerikas. Es wurde am 21. Mai 2015 in dem ehemaligen Postamt „Palacio de Correos“ eröffnet und nach dem früheren Präsidenten benannt.
Das neu renovierte Hafenviertel, sozusagen die argentinische Speicherstadt, ist zum Trendviertel der Einheimischen für abendliche Restaurantbesuche geworden.
Die Catedral Metropolitana Santísima Trinidad de Buenos Aires an der Plaza de Mayo ist die Hauptkirche der Katholiken und Mutterkirche des Erzbistums in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.
Die barocke Kathedrale hatte ihren ersten Vorgängerbau im 16. Jahrhundert und wurde seitdem mehrmals neu errichtet. Das derzeitige Kirchengebäude ist eine Mischung verschiedener Architekturstile. So stammen das Kirchenschiff und die Kuppel aus dem 18. und die Fassade aus dem 19. Jahrhundert. Durch den Säulenvorbau erinnert das Gebäude eher an einen antiken Tempel als an eine katholische Kirche.
Die Kathedrale war Sitz des Erzbischofs Jorge Mario Bergoglio SJ, der im März 2013 zum 266. Bischof von Rom und damit zum Papst gewählt wurde – der Argentinier Franziskus.
Die Cathedral Metropolitana beherbergt das Grabmal des Generals José de San Martín, der bis heute in ganz Argentinien als Held verehrt wird. Draußen, rechts an der Seite, hält eine Flamme die Erinnerung an ihn am Leben.
Wir entdecken die Subte als einfach zu nutzendes Verkehrsmittel: Man löst ein Ticket für ein paar Pesos am Schalter und steigt ein.
Der erste Abschnitt der Subterráneo (= Unterirdische) wurde 1913 eingeweiht. Damit war es das erste derartige Bahnnetz Lateinamerikas und der gesamten Südhalbkugel. Der Ausbau stagnierte aber nach dem Zweiten Weltkrieg. Und so gibt es nur sechs Linien, die zwischen viereinhalb und gut elf Kilometer lang sind.
Eine der Hauptverkehrsadern der Stadt ist die Avenida 9 de Julio; mit ihrem Namen erinnert sie an den Tag der Unabhängigkeit Argentiniens am 9. Juli 1816.
Für den Bau der Straße wurde 1935 eine komplette Reihe von Häuserblocks der im Schachbrettmuster angelegten Stadt abgerissen. Es gibt sieben Fahrstreifen je Richtung, und bis 1960 war die Avenida mit 140 Metern die breiteste Straße der Welt. Man braucht für die Überquerung oft mehr als zwei Minuten, da viele Ampeln dazwischen liegen.
Der Obelisk der Plaza de la República mitten auf der Av. 9 de Julio wurde 1936 anlässlich des 400-jährigen Stadtgründungsjubiläums in weniger als einem Monat errichtet.
„Wir sind Papst“ – aktuell ist Argentinien dran, und der Papst scheint irgendwie ziemlich allgegenwärtig zu sein.
Der Ombú-Baum wächst in der Pampa Südamerikas, und wir entdecken ihn auf dem Weg nach Recoleta. Diese immergrünen Bäume werden bis zu 25 Metern hoch, der Umfang der Baumkrone beträgt etwa 15 Meter. Pflanzenfresser meiden die Pflanze wegen des giftigen Saftes.
Recoleta ist das vornehmste Viertel von Buenos Aires. Sein berühmter Friedhof Cementerio de la Recoleta lohnt einen Spaziergang. Hier in der riesigen Totenstadt ruhen ganze Generationen von Argentiniens Oberschicht so prunkvoll wie sie einst auch lebten. Es ist faszinierend, durch die weitläufige Miniaturstadt mit ihren erhabenen Statuen, aufwändigen Marmorfassaden und nach Erde riechenden Sarkophagen zu schlendern. In den Krypten ruhen die sterblichen Überreste der Elite der Stadt: frühere Präsidenten, Militärhelden, einflussreiche Politiker sowie Reiche und Berühmte.
Die in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene Eva Duarte de Péron, besser bekannt als Evita, wird in Argentinien auch gut 60 Jahre nach ihrem Tod wie keine andere Frau verehrt – es gibt einen regelrechten Evita-Kult. Als Frau an der Seite des Präsidenten setzte sie, die erste Popularität und auch Reichtum durch einen Job als Radiomoderatorin gewann, sich für die Armen und das Frauenwahlrecht ein. 1952 starb sie mit nur 33 Jahren.
1908 wurde das prächtige Teatro Colón eröffnet. Das luxuriöse siebenstöckige Theatergebäude ist eine Bühne von Weltklasse für Oper, Ballett und klassische Musik. Bis zur Errichtung des Sydney Opera House 1973 war es das größte Theater der südlichen Hemisphäre. Der Zuschauerraum mit den roten Samtstühlen und den vergoldeten Rängen fast 2500 Zuschauer.
Der riesige Palacio del Congreso mit seiner grünen Kuppel wurde 1906 nach dem Vorbild des Kapitols in Washington fertiggestellt. Das Bauwerk steht am Ende der Avenida de Mayo.
In den Stadtteil La Boca gelangt man nicht mit der U-Bahn, und ein Taxi wollen wir nicht nehmen. Die Stadt verfügt über ein umfangreiches Netz an öffentlichen Bussen, die jedoch von Touristen mit rudimentären Spanischkenntnissen nicht genutzt werden können. Es dauert Tage, bis wir erfolgreich eine „Lizenz zum Busfahren“ organisieren. Man benötigt drei Pesos in Münzen, um beim Busfahrer zu bezahlen, und die kriegt man einfach nicht. Nicht einmal die Einheimischen besitzen Münzen, und wo wir auch fragen, wir bekommen einfach keine! Also suchen wir einen Kiosk, der Subte-Plastikkarten verkauft. Diese checkkartengroßen Teile berechtigen jedoch noch nicht zum Einsteigen in den Bus, denn es bedarf des Besuchs einer U-Bahn-Station, die über einen Schalter verfügt, an dem man ein Guthaben seiner Wahl auf diese Karte lädt. Nachdem wir die Karte mit 20 Pesos versehen haben, werden im Bus für jede Fahrt drei Pesos abgebucht, das entspricht 30 Eurocent. Dem Besuch des Hafenviertels La Boca steht also endlich nichts mehr im Wege.
Unsere geplante Unternehmung wird jedoch kurzfristig überschattet von einem äußerst unangenehmen Zwischenfall.
Als wir an einer Haltestelle warten, spricht uns ein Einheimischer an und schickt uns, beharrlich argumentierend, etwa hundert Meter weiter; dort fährt die Linie 64 direkt nach La Boca. Es gibt nur eine kleine Warteschlange von drei bis vier Personen, und vorne steht eine junge Frau, die sich konzentriert mit ihrem Smartphone befasst. Stand sie nicht gerade noch mit uns zusammen an der ersten Haltestelle?
Wir überzeugen uns durch einen Blick in unseren Stadtplan, dass wir hier an der richtigen Stelle warten, als plötzlich offensichtlich eine der auf der Dachkante sitzenden Tauben eine Menge Kot absondert. Sowohl meine als auch Katrins Jacke, ihr Rucksack und unsere Haare sind voller hellgelber Kleckse – das ist ausgesprochen eklig!
Ein älterer Argentinier taucht mit einem Tuch auf, spuckt hinein und beginnt hektisch unsere Jacken und Taschen abzuwischen, wobei er uns anfasst; er signalisiert, dass wir die Sachen für das Reinigen besser ablegen. Ich raune Katrin zu, sie möge ihre Wertsachen festhalten, als der Bus Nr. 64 hält. So plötzlich, wie er aufgetaucht war, verschwindet der Mann unbemerkt wieder und ich registriere, dass die Frau mit dem Handy in keinen Bus eingestiegen ist, sondern die breite Straße überquert und sich aus unserem Blickfeld entfernt hat.
Als wir im Bus sitzend die ausgezogenen Jacken genauer untersuchen, stellen wir fest, dass die gelbliche Flüssigkeit ein Haarmittel sein muss und diese große Menge des vermeintlichen Kots bestenfalls von fünf oder sechs Tauben stammen könnte!
Offensichtlich hat die junge Frau das Zeug aus einer Tube oder Plastikflasche herausgedrückt – welches dann in hohem Bogen auf uns niederging – und sich dann zügig aus dem Staub gemacht, um ihrem Mitspieler die weitere Arbeit zu überlassen.
Es ist uns nichts abhandengekommen, aber dieser Trick ist ein ausgesprochen mieser! Denn Ekel ist ein Affekt, und der Ablauf einer Handlung in solch einer Situation wird vom Ausführenden nicht beherrscht. Wir waren sehr darauf konzentriert, während der Reinigung unserer Klamotten nicht auch noch unsere Hände mit der gelben Masse in Kontakt zu bringen und hätten hinreichend abgelenkt sein können, um bestohlen zu werden.
La Boca ist wohl das bekannteste der 49 Stadtviertel. Es liegt an der Einmündung des Riachuelo-Flusses in den Río de la Plata und hat daher seinen Namen (Boca = „Mündung“).
In La Boca kamen Ende des 19. Jahrhunderts junge Einwanderer voller Hoffnung aus Europa an, darunter viele italienische. Dieses Viertel gilt als die Wiege des Tangos.
La Boca ist beliebt bei Touristen, auch wegen seiner originellen Häuser. Sie wurden aus dem Blech abgewrackter Schiffe gebaut und mit Schiffslack bunt bemalt. Hauptattraktion ist die Straße El Caminito (der kleine Weg).
Zurück auf der Avenida de Mayo erleben wir ein großes Straßenfest auf der für den Autoverkehr gesperrten Straße mit zahlreichen Präsentationen bolivianischer Gruppen.
(Video 01076 folgt)
Sonntags besuchen die Massen den berühmten Antiquitätenmarkt auf der Plaza Dorrego und der angrenzenden Straße Defensa. Dann drängeln sich hier die Menschen und stöbern nach rostigen Taschenuhren, alten Kristallartikeln und Münzen. Allerdings wird auch viel moderner Schnickschnack angeboten. Tangotänzer und Straßenkünstler geben tolle Fotomotive ab und freuen sich über etwas Kleingeld im Hut. Wer den Trubel nicht mag, sollte besser einen anderen Wochentag wählen; wir aber stürzen uns mitten hinein.
Die alte Markthalle des Mercado in der Defensa bietet frisches Obst und Gemüse. In kleinen Ladengeschäften findet man allerhand Krimskram und Kuriositäten wie alte Postkarten und Poster, Notenblätter alter Tangos, antiquarische Bücher und vieles mehr.
Am Omnibus Terminal erwerben wir bei einem der unglaublich vielen Busunternehmen Tickets.
Abends um 22.15 Uhr geht unser Fernbus in das 700 Kilometer nördlich gelegene Mercedes. Wir verlassen Buenos Aires und reisen mit cama-Komfort über Nacht, sodass wir in bequemen Liegesitzen nach einer warmen Mahlzeit an Bord tatsächlich einige Stunden schlafen können, während der Doppeldeckerbus über die nächtlichen Landstraßen rollt.