Alle Ersatzspeichen sind inzwischen verbraucht, und ich fahre schon seit einem Tag mit einer gebrochenen Speiche, da es keine Fahrradshops gibt, die welche vorrätig haben.
Von Porto Brandão setze ich mit der Fähre nach Belém, dem westlichen Stadtteil Lissabons, über.
Nach dem Einchecken im Hotel bringe ich mein Fahrrad zum Fahrradladen und erkläre dem Mechaniker die Situation. Es ist nicht zu fassen, auch er hat keine geeigneten Speichen! Aber die Speichen eines Kinderrades würden passen, und sein Chef erklärt sich einverstanden, dass er sie in mein Hinterrad einbaut.
Als ich am nächsten Morgen mein Fahrrad abholen möchte, erklärt mir der Mechaniker, dass die Qualität der Speichen nicht gut sei und er deshalb hochwertigere Speichen bestellt habe. Na, hoffentlich treffen die rechtzeitig vor meiner Weiterfahrt übermorgen ein.
Also beginne ich nun erstmal mit meiner Stadterkundung.
Zu Fuß geht es hinauf zum Castelo de São Jorge.
Auf dem Burghügel, der den Kern der maurischen Stadt bildete, steht das Castelo de São Jorge. Die ältesten Teile der Burg stammen aus dem 6. Jahrhundert, im 12. Jahrhundert wurde sie zum Königspalast umgebaut und erweitert. Mir bietet sich eine faszinierende Aussicht auf die gesamte Stadt und den Tejo.
Lissabon ist seit mehr als 700 Jahren Portugals Hauptstadt. Die Stadt liegt auf sehr hügeligem Terrain etwa zwölf Kilometer vom Atlantik entfernt am Nordufer der Tejo-Bucht Mar da Palha, die an dieser Stelle sieben Kilometer breit ist.
Am 1. November 1755 legte ein verheerendes Erdbeben den größten Teil der Stadt in Trümmer, aber der Wiederaufbau begann umgehend.
Die Verlegung der Residenz nach Rio de Janeiro 1807 für die folgenden vierzehn Jahre sowie der Verlust Brasiliens als Kolonie brachten einen empfindlichen Rückschlag für die Stadt, von dem sie sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich erholte.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Lissabon zu einer modernen, offenen Großstadt. 1988 geriet sie in die Schlagzeilen, als bei einem Großbrand eine Fläche von ca. zwei Hektar den Flammen zum Opfer fiel. Die zerstörten Gebäude wurden unter Beibehaltung der historischen Fassaden – sofern sie denn stehengeblieben waren – wieder neu errichtet.
Der Arco da Rua Augusta an der Praça do Comércio stellt den Eingang zur Baixa Pombalina, der nach 1755 neu gebauten Innenstadt, dar.
Auch wenn er nicht – wie so oft behauptet – von Gustave Eiffel, sondern von einem seiner Schüler konstruiert wurde, ist der Elevador do Carmo eines der herausragenden Bauwerke Lissabons. Der Aufzug verbindet die Unterstadt mit der Oberstadt und ist sicher der aufwändigste, zumindest aber auffälligste aller Aufzüge, die in der hügeligen Stadt geeignete Verkehrsmittel darstellen.
Der Rossio gilt als das eigentliche Zentrum der Stadt. In der Platzmitte steht eine 1870 aufgestellte, 23 Meter hohe Marmorsäule, die von einem Bronzestandbild Pedros IV. gekrönt wird. Zwei schöne Brunnen zieren den von Jacaranda-Bäumen umstandenen Platz.
Die Estação do Rossio lässt weniger an einen Bahnhof als an ein Theater oder sonstigen Prachtbau denken. Der Bahnhof wurde 1890 als Kopfbahnhof mitten in der Innenstadt eröffnet. Die Züge verlassen die Stadt durch einen 2600 Meter langen Tunnel.
Das Teatro Éden an der Praça dos Restauradores war 1931 und folgende Jahre ein prächtiges Großkino, das 1989 geschlossen wurde. Zwölf Jahre später wurde das Eden zu einem riesigen Hotel mit 134 Zimmern umgebaut; nur die denkmalgeschützte Fassade blieb erhalten.
Der 1886 eingeweihte fast 30 Meter hohe Obelisk in der Mitte des Platzes erinnert an den Aufstand von 1640: Durch den Sturm auf den Königspalast wurde damals die 60 Jahre dauernde spanische Herrschaft beendet.
Der größte innerstädtische Park ist der Parque Eduardo VII. 1903 besuchte der englische König Portugal, und um die guten Beziehungen zum Vereinigten Königreich zu betonen, benannte man den Park nach dem königlichen Besucher.
Unverständlicherweise sind auch in Portugal Stierkämpfe immer noch nicht verboten.
Die Tejo-Brücke Ponte 25 de Abril, eine Hängebrücke mit kombiniertem Straßen- und Eisenbahnverkehr, wurde 1966 eingeweiht. Die Brücke ist 2277 Meter lang, die Fahrbahnhöhe über dem Wasser beträgt 70 Meter, die Höhe der beiden Pfeiler je 190,5 Meter und die Spannweite 1013 Meter.
Hinter der Brücke sieht man das 1959 errichtete Monumento Cristo Rei. Den 82 Meter hohen Sockel krönt eine 28 Meter hohe Christusstatue aus Stahlbeton.
Am Ufer des Téjos im Stadtteil Belém ragt das Denkmal der Entdeckungen – Padrão dos Descobrimentos – auf. Es wurde anlässlich des 500. Todestages von Heinrich dem Seefahrer 1960 gebaut. Das 54 Meter hohe Monument mit der Form eines Schiffbugs erinnert an die portugiesischen Entdecker des 15. Jahrhunderts.
Die Torre de Belém wurde 1515 bis 1521 zum Schutz des Hafens in manuelinischem Stil erbaut und 1983 als Weltkulturerbe klassifiziert.
Das Mosteiro dos Jerónimos de Belém gilt als bedeutendes Beispiel manuelinischer Baukunst und eindrucksvolles Symbol für Portugals Macht und Reichtum zur Zeit der kolonialen Eroberungen.
Die Klostergründung geht auf Heinrich den Seefahrer zurück, der nahe dem Hafen, von dem die großen Entdeckungsfahrten ausgingen, eine Gebetsstätte für Seeleute errichten lassen wollte. Der Überlieferung nach soll Vasco da Gama 1497 in dieser Kapelle die Nächte vor seiner Abreise nach Indien betend verbracht haben; hier empfing ihn der König auch bei seiner Rückkehr mit allen Ehren.
Die im 16. Jahrhundert erbaute Casa dos Bicos – Haus der Spitzen – verdankt ihren Namen der auffälligen Fassadenverkleidung aus diamantförmig zugespitzten Steinen. Nur das Erdgeschoss überstand das Erdbeben unversehrt. Die oberen Stockwerke wurden nach alten Bauplänen, aber bewusst mit modernen Baumaterialien, wieder hergestellt.
In der Casa hat die José-Saramago-Stiftung ihren Sitz. Eine Urne mit der Asche des Schriftstellers wurde vor dem Gebäude beigesetzt.
Die Alfama mit ihren schmalen Sträßchen und Treppengassen ist ein wirklich malerisches Altstadtviertel.
Die Straßenbahnlinie 28 fährt hügelauf, hügelab durch Lissabons Innenstadt. Der schönste Streckenabschnitt führt durch die Straßen der Alfama, die teilweise nur so breit sind, dass die Waggons gerade mal durchpassen.
Die Alfama liegt zwischen dem Castelo de São Jorge und dem Ufer des Río Tejo.
Einst machte Alfama den Stadtkern Lissabons aus. Die reicheren Bevölkerungsgruppen siedelten sich zunehmend in westlicher Richtung bis nach Belém an; Fischer und ärmere Menschen blieben in Alfama. Der Stadtteil wurde beim großen Erdbeben von Lissabon 1755 kaum beschädigt, sodass das enge Labyrinth von Straßen und Gassen bis heute erhalten ist.
Der Bau der Kirche São Vicente de Fora wurde 1582 begonnen. Das ehemalige Augustinerkloster, in dessen Eingangshalle und Kreuzgängen Azulejo-Bilder des 18. Jahrhunderts zu sehen sind, schließt sich an.
Unterhalb von São Vicente de Fora steht die Igreja de Santa Engrácia, auch Panteão Nacional genannt. Der dritte sakrale Bau an diesem Platz wurde 1682 begonnen, doch es sollten fast drei Jahrhunderte vergehen, bis er fertiggestellt werden konnte. Erst 1966 wurde der Bau mit der Konstruktion der Kuppel abgeschlossen.
Abschließend fahre ich zum Expogelände von 1998. Das Motto der letzten Expo des 20. Jahrhunderts lautete „Die Ozeane – Vermächtnis für die Zukunft“. In fünf Themenpavillons wurden die Weltmeere, ihre Geschichte, Gefährdung, Nutzungsmöglichkeiten und Zukunft beleuchtet.
Bis heute entstanden auf dem Gelände der Expo-Urbe Wohnungen für 25.000 Menschen mit Schulen, Kindergärten und Krankenhaus. 18.000 Arbeitsplätze befinden sich hier. Das klingt nach sinnvoller Nachnutzung.
Als ich mein Fahrrad aus dem Laden abholen will, ist der Mechaniker fast fertig: Neue Speichen zieren das Hinterrad, und ein Loch wird noch geflickt.
Er hat gute Arbeit geleistet, und ich kann mit einem runderneuerten Hinterrad meine Tour fortsetzen – wunderbar!