Nun heißt es zusammenzurücken, was das Gepäck anbetrifft. Katrins großer Koffer ist fast ausgefüllt mit ihrer Motorradkombi und wenigen, aber wärmenden Klamotten. Den Helm hat sie in einer Sporttasche als Handgepäck transportiert, damit er im Flieger keinen Schaden nimmt.
Zelt, Luftmatratze, Schlafsack und meine gesamte Reiseliteratur – außer der über Island – bleiben in ihrem Koffer, den wir im Hotel deponieren können. So wird eine der wasserdichten Packtaschen für ihre Sachen frei. Am nächsten Morgen soll es gemeinsam losgehen.
Islands Hauptstadt Reykjavík liegt an der atlantischen Faxaflói-Bucht, nur etwa 270 Kilometer südlich des nördlichen Polarkreises, und ist damit die weltweit am nördlichsten gelegene Hauptstadt.
Wir erleben Reykjavík bei acht bis zwölf Grad; dichte Bewölkung und Schauern wechseln mit sonnigen Abschnitten. Das Klima hier ist auf der Nordhalbkugel vergleichbar mit dem in Tórshavn auf den Färöer und Dutch Harbour in Alaska, auf der Südhalbkugel mit Ushuaia in Argentinien und Port Howard auf den Falklandinseln.
Reykjavík bedeutet „Rauchbucht“, vermutlich geht der Name auf die Dämpfe der heißen Quellen in der Umgebung zurück.
Eigentlich haben wir für Reykjavík, diese „kleine Metropole“, keine Zeit eingeplant, besuchen aber doch die von überall aus der Stadt und aus weitem Umkreis unübersehbare evangelisch-lutherische Hallgrímskirkja, das größte Kirchengebäude Islands.
Die Planungsarbeiten für diese Betonkirche begannen bereits 1929, der Bau sechszehn Jahre später. Nach gut 40-jähriger Bauzeit konnte die Kirche 1986 endlich geweiht werden. Die Aussichtsplattform im fast 75 Meter hohen Kirchenturm erreicht man mit einem Aufzug.
Auch ein kurzer Abstecher zum Hafen ist drin.

„Sólfar“ – „Sonnenschiff“ – nannte der Künstler Jón Gunnar Árnason seine Skulptur an der Küstenpromenade
Über die N1 fahren wir nach Norden. Statt den Hvalfjörður zu umrunden, nutzen wir den Tunnel Hvalfjarðargöng und verkürzen unseren Weg um fast 50 Kilometer.
Der Tunnel ist 5770 Meter lang, davon liegen 3750 Meter bis zu 165 Meter tief unter dem Fjord. Er ist unser einziger mautpflichtige Tunnel, und wir sind mit 200 Islandkronen dabei.
Der kleine Ort Borganes gilt als Stadt, hat aber nur ca. 1800 Einwohner. Borganes ist mit seinen Geschäften, Schulen und Ämtern und einem Gesundheitszentrum Mittelpunkt der Region.
Island ist ein sagenumwobenes Land. Allenorts trifft man auf Hinweise auf eine Saga, die sich dort abgespielt haben soll.
Das erleben wir erstmals in Borganes, wo uns eine Skulptur auf die Sagengestalt Þorgerður Brák hinweist. Über diese eine Saga werde ich berichten.

Nahe dem Hafen in Borgarnes schuf der Künstler Bjarni Þór diese der Sagengestalt Þorgerður Brák gewidmete Skulptur
Der Saga nach war der Norweger Skalla-Grímur einer der ersten Siedler in Island und hatte sich um das Jahr 890 hier am Borgarfjörður niedergelassen.
Sein Sohn Egil erschlug mit sechs Jahren seinen ersten Gegner, woraufhin seine Mutter ihm eine große Zukunft als Wikinger prophezeite.
In Egils Vater selbst schlummerte noch ein beträchtliches Wolfspotenzial. Bei einem Ballspiel wurde er so zornig, dass er zuerst den Freund Egils tötete und sich dann gegen den eigenen Sohn wandte.
Da sprach Egils einstige Amme Þorgerður Brák zu ihm: „Skalla-Grímur, du Berserker, du rast ja gegen deinen Sohn.“ Daraufhin ließ dieser seinen Sohn Egil los und jagte wutentbrannt bis zur Spitze der Halbinsel hinter ihr her. Sie stürzte sich ins Meer und versank unter einem Felsbrocken, den der Wüterich ihr zwischen die Schultern geworfen hatte. Der zwölfjährige Egil rächte sich an seinem Vater, indem er dessen Verwalter, der ihm am liebsten war, erschlug. Seine Tochter benannte er später nach Þorgerður, die ihm das Leben gerettet hatte.
Wir verlassen die gut ausgebaute N1 und fahren auf der N54 bei Superwetter weiter an der Westküste entlang nach Norden.
Jetzt im Sommer werden die Wiesen gemäht und das Schnittgut manchmal gewendet, damit eine gute Anwelksilage entsteht. Solche Grünfüttersilage ist als alleiniges Winterfutter eine gute Lösung für die Tierhalter. Um die Ballen lange lagern zu können, werden sie in Folien verpackt auf den Höfen aufeinandergestapelt.
Im September treiben die Bauern im Hochland Schafe und Pferde zusammen, die dort freilebend den Sommer verbracht haben. Sie werden in Herden ins Tal getrieben und in Pferchen sortiert. Das Heu dient nun zur Fütterung.
Die Heuballen, die in verschieden farbigen Folien verpackt verstreut auf den Wiesen liegen, bevor sie abtransportiert werden, sehen wir von nun an täglich. Neben weißer Folie wird auch graue, rosa und hellgrüne verwendet, und die runde Form der großen Ballen prägt auf unserer Reise fortan ein geflügeltes Wort – „Klopapierrollen für die Trolle“.
Als die Wikinger im 9. Jahrhundert nach Island kamen, brachten sie auch ihre zähesten Pferde mit, denn wetterfeste und trittsichere Pferde waren die einzigen Helfer beim Zurücklegen langer Wegstrecken. So entstand im Laufe der Zeit eine ganz besondere Rasse: das robuste, intelligente und auch eigenwillige Islandpferd.
Diese freundlichen Pferde besitzen im Gegensatz zu den meisten anderen Artgenosssen die zusätzlichen Gangarten Tölt und Rennpass. Der schnelle Tölt ermöglicht ein erschütterungsfreies Reiten, da bei jedem Schritt ein Pferdebein Bodenkontakt hat.
Die Qualität der Straßen in Island lässt sich meistens an ihrer Nummer abschätzen. Die Ringstraße verträgt verdientermaßen die Nummer 1, die anderen Hauptverkehrsstraßen sind an den zweistelligen Nummern zu erkennen. Die Qualität dreistelliger Straßen ist noch einmal schlechter, während mit „F“ gekennzeichnete Wege in der Regel nur mit Allradfahrzeugen zu befahren sind.
Am Nachmittag erreichen wir einen größeren Ort, die 1100 Einwohner zählende Stadt Stykkishólmur. Sie liegt an der Nordseite der Halbinsel Þorsnes, die weit in die Insel- und Schärenwelt des Breiðafjörður hineinreicht. Stykkishólmur ist das Fischerei- und Handelszentrum der Region, und in dem durch die Insel Súgandisey geschützten Hafen geht es lebendig zu. Für uns gibt’s hier zum Abendessen Fish ’n chips aus Zeitungspapier.
Das Ortsbild ist aufgrund einiger liebevoll restaurierter Häuser recht harmonisch für isländische Verhältnisse.
Die futuristisch wirkende Kirche wurde 1990 geweiht. Aufgrund ihrer exponierten Lage auf einem Hügel sieht man sie schon von weitem. Wir steigen abends hinauf und kommen mit einer Frau ins Gespräch, die im Vorraum über ihre Strickarbeit gebeugt ist. Sie bestätigt die ausgezeichnete Akustik in der Kirche, die deshalb auch häufig für Konzerte genutzt wird. Allerdings beobachten wir auch, dass das Gebäude in die Jahre gekommen ist. Handwerker machen sich an der Außenfassade bereits zu schaffen, indem sie alte Regenrinnen austauschen.
Für die Umrundung der Halbinsel Þorsnes brauchen wir einen Tag. Wir befahren dreistellige Straßen, unter anderem die F570, und entsprechend mehr Zeit brauchen wir.
Der Snaefellsjöküll, ein immer noch aktiver 1446 Meter hoher Stratovulkan mit einem vergletscherten Vulkankegel, dominiert die Halbinsel. Das Kraterbecken am Gipfel hat einen Durchmesser von einem Kilometer und 200 Meter hohe Steilwände.
Leider ist die Sicht durch sehr tief hängende Wolken schlecht, sodass wir nur ab und zu einen Blick erheischen.
Stykkishólmur ist Ausgangspunkt für die Fähre Baldur, die man benutzt, wenn man in die Westfjorde möchte, und genau das haben wir vor.
Wir nehmen die Fähre, die uns – mit kurzem Zwischenstopp an der kleinen Insel Flatey – in zweieinhalb Stunden über den Breiðafjörður nach Brjánslækur bringt.
Flatey, die größte der rund 3000 Inseln im Breiðafjörður, war von 1172 bis 1184 Sitz eines Augustinerklosters, das nach Stykkishólmur geholt wurde. Bis 1950 lebten noch viele Menschen hier, vor sechs Jahren waren noch zehn Einwohner gemeldet. Im Sommer kommen die Besitzer von Sommerhäusern und einige Touristen dazu.