Eigentlich haben wir einen entspannten Fahrtag zurück in westlicher Richtung vor uns, aber es ist ein Regentag, der uns zu nur wenigen Zwischenstopps motiviert.
Eigentlich wollen wir das Freilichtmuseum Glaumbær besuchen, aber das lassen wir, denn es macht im Dauerregen keinen Spaß.
Wir sind froh, nach ein paar Stunden endlich anzukommen, denn es gibt heute offenbar so gut wie keine Regenpause.
Das Hotel Tindastóll gefällt uns ausgesprochen gut. In dem alten Gebäude, in dem 1884 das erste Hotel Islands eröffnet wurde, gibt es nur zehn Doppelzimmer, und alle sind unterschiedlich.
Für uns ist ein riesiges Zimmer mit antik-nostalgischem Charme reserviert, dessen Balken uns für das Trocknen der Motorradkluft gute Dienste leisten.
Neben frischen Bademänteln gibt es passend dazu einen warmen Pool im Innenhof, den wir nach einem heißen Kaffee und einigen Täfelchen Schokolade des Hauses im Regen genießen.
In der Umgebung von Sauðárkrókur werden Islandpferde gezüchtet, die wir auf den Weiden grasen sehen.
Heute besuchen wir Glaumbær bei trockenem Wetter.
Die Gebäude des Hofes Glaumbær nahe Sauðárkrókur entstanden im 18. und 19. Jahrhundert und sind – ebenso wie die sie umgebende Mauer – in Torfrasenbauweise errichtet. Sie bestehen aus dünnen Holzbrettern und sind zur Wärmedämmung mit dicken Schichten von Torfrasen belegt. Die Vorderfronten sind mit Holz verkleidet, was darauf hinweist, dass es sich um einen reichen Hof gehandelt haben muss.
Da Torfhäuser aus statischen Gründen nur relativ klein gebaut werden konnten, bestanden die alten isländischen Höfe aus einem Komplex einzelner Gebäude, von denen die am häufigsten genutzten mit Zwischentüren verbunden waren.
In Víðimýri, wenige Kilometer von Glaumbaer entfernt, gab es schon im 12. Jahrhundert eine Bauernkirche. Die jetzige Kirche wurde 1834 aus Treibholz von der Küste der Halbinsel Skagi und Torf aus dem Gebiet von Víðimýri errichtet. Heute gibt es in Island nur noch eine Handvoll solcher Kirchen.
Als wir zum Motorrad zurückkehren, liegt der Schalthebel daneben. Die Schraube, die ich mir vor drei Tagen organisiert habe, hat die Nut des Schalthebels nicht getroffen und sich daher gelockert, sodass dieser abfallen konnte.
Eine große Herde Isländer mit vielen Fohlen hindert uns am Weiterfahren; die müssen wir uns erst einmal aus der Nähe anschauen.
Wir fahren auf eine freie Fläche vor der Weide und die Herde nimmt Reißaus. Am Motorgeräusch kann es nicht liegen, denn die Ringstraße ist nicht weit und die Tiere werden daran gewöhnt sein. Es sind offenbar die Helme, die ihnen suspekt sind, denn als wir sie abnehmen und weglegen, kommen die Pferde näher.
Durch Islands isolierte Lage haben sich die Ur-Islandpferde in den letzten eintausend Jahren praktisch nicht verändert. Um diese einzigartige Rasse zu bewahren, wurde schon auf dem Alþing, dem Parlament, ein Gesetz erlassen, das den Import von Tieren verbot. Auch heute noch gilt dieses Importverbot. Selbst ein auf der Insel aufgewachsenes Pferd, das im Ausland war, darf nicht mehr zurück.
Wir bleiben ein halbes Stündchen und beobachten die Pferde. Da geraten zwei Stuten aneinander. Sie versuchen, sich mit ihren Hinterbacken wegzudrängen, schlagen mit ihren Hinterhufen aus und wiehern laut und geradezu zornig. Der Hengst geht dazwischen, stampft mit einem Vorderhuf auf, schüttelt seine dichte Mähne und knufft die Kontrahentinnen mit dem Kopf, sodass sie voneinander ablassen. Das ist ein interessantes Schauspiel!
Kattarhryggur, „Katzenbuckel“, wurde ursprünglich als Fahrweg für Pferde angelegt. Wie die meisten alten Pferdestraßen ist sie sehr eng und, besonders im Winter bei Glatteis, gefährlich. Die Brücke ist typisch für eine der ersten in Island gebauten Betonbrücken.
Bevor wir nach Borganes fahren, wollen wir unbedingt einen Abstecher zu den Hraunfossar-Wasserfällen machen. Die Wegbeschreibung ist dermaßen ungenau, dass wir einen etwa dreißig Kilometer langen Umweg über staubige Schotterpiste machen und auch noch vor zwei heranstürmenden großen Hofhunden flüchten müssen.
Unter dem Lavastrom Hallmundarhraun, der um 800 v. Chr. entstand, quellen auf einer Länge von rund einem Kilometer unzählige Wasserfälle hervor und ergießen sich in den Fluss Hvítá.
Ein Stück weiter flussaufwärts liegt der Barnafoss.
Eine Infotafel weist darauf hin, dass der Name Barnafoss auf eine alte Sage zurückgeht. Als die Bewohner des Hofes Hraunsás zur Weihnachtsmesse fuhren, ließen sie zwei Kinder zurück. Die waren anschließend verschwunden, und ihre Spur führte zum Fluss. Sie sollen von einem natürlichen Steinbogen in den Fluss Hvítá gestürzt und ertrunken sein. Daraufhin ließ die Mutter den Steinbogen zerstören, damit sich solch eine Tragödie nie mehr ereignen kann.
In Reykholt lebte und wirkte der bekannte Dichter, der einer der bedeutendsten Alþing-Politiker im mittelalterlichen Island war, Snorri Sturluson. Er verbrachte in Reykholt einen Großteil seines Lebens und starb hier – er wurde ermordet. Beigesetzt wurde er auf dem Friedhof neben der kleinen Holzkirche.
Reykholt liegt in einem Niedrigtemperaturgebiet. Die im Boden messbar vorhandene Hitze kann keinem der aktiven Vulkansysteme der Gegend zugeordnet werden. Eine Vielzahl heißer Quellen ist hier zu finden, unter denen jedoch offenbar keine Magmakammer liegt.
Unser Ziel ist das Ensku húsin, das englische Haus, am Fluss Langá. Das einstige Fischerhaus aus dem Jahr 1884 ist heute ein kleines, verwinkeltes familienbetriebenes Hotel.
Wir sind heute lange unterwegs gewesen. Es ist bereits Abend, und unser Navi fordert vehement ein Linksabbiegen in einen unbefestigten Weg in der Mitte von nirgendwo. Keine Ahnung, wohin uns dieser Schotterweg führt – weit und breit ist keine Behausung zu sehen. Aber wir biegen ab und stehen nach einer Weile vor einer verbarrikadierten, baufällig anmutenden Brücke.
Katrin steigt ab und prüft, ob die Holzbohlen das Motorrad tragen, dann winkt sie mich zu sich. Zwischen Felsbrocken und Geländer passe ich gerade so hindurch.
Hinter dem Hügel befindet sich ein straff gespanntes Tau, dessen Karabinerhaken sich nur schwer öffnen lässt, damit ich durchfahre. Natürlich verschließen wir die Zufahrt wieder. Nur noch eine kurze Wegstrecke, und das Ensku húsin rückt in unser Blickfeld – endlich!