Archiv der Kategorie: Teil 1: Deutschland – Kirgisistan

Кыргыз Республикасы – Kirgisistan (1)

Hektisches-Treiben-an-kasachisch-kirgisischer-Grenze

Hektisches Treiben an der Grenze

Nun bin ich in Kirgisistan angelangt. Die Grenzstadt Chaldovar ist ziemlich verdreckt, weil die Leute, die auf die Grenzabfertigung warten, all die Dinge, die sie nicht mehr benötigen, einfach aus dem Fenster werfen. Ich treffe nach langer Zeit wieder auf erste herrenlose Hunde.

Grenzstadt-Chaldovar

Zurückgelassener Müll in der Grenzstadt Chaldovar

Unterwegs sehe ich mehrfach Bewässerungskanäle, die die Straßen flankieren und öfter auch mal „angezapft“ werden.

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Bewässerungskanal vor Bishkek

Wasserumleitung

„Wasserumleitung“

Landschaft-2

Unterwegs

Landschaft-1

Fantastische Landschaft

Nach einer weiteren Tagestour erreiche ich die Hauptstadt Bishkek. Sie ist der politische, wirtschaftliche und kulturelle Mittelpunkt Kirgisistans. Einst Karawanenstation an der Seidenstraße erlebte Bishkek im Laufe ihrer Zeit mehrere Umbenennungen. Heute hat sie etwa 870.000 Einwohner.
Bishkek ist eine lebhafte und in vieler Hinsicht moderne Stadt, mit zahlreichen Restaurants und Cafés und einem dichten Straßenverkehr im planmäßig angelegten Schachbrettformat. Man sieht breite Boulevards, marmorverkleidete öffentliche Gebäude und massige Wohnblocks aus sowjetischen Zeiten.
Aufgrund seiner kurzen Geschichte hat Bishkek keine historischen Bauwerke.

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Ala-too-Platz in Bishkek

Ala-too-Square-1

Ala-too-Platz

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Staatlich historisches Museum Bishkek

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Russisch-orthodoxe Kirche, Bishkek

Ich wohne in einem Guest house, das der Lonely planet empfohlen hat, und treffe nicht nur auf eine sehr freundliche Gastgeberin mit ihrem 30jährigen Sohn, sondern auch auf Zaya und Mike.

Mike-und-Zaya

Zaya aus der Mongolei und Mike aus England

Die beiden fahren die Mongolia Charity-Rallye und sind in London gestartet. Zaya stammt aus der Mongolei, hat zehn Jahre in Amerika gelebt und fährt zurzeit Motorrad-Rallyes für wohltätige Zwecke.
Zu Jahresbeginn war sie mit Motorrad und Beiwagen, vollgestopft mit warmen Klamotten, bei minus 40 Grad auf schneebedeckten Straßen und zugefrorenen Flüssen auf der Sibirien Rallye unterwegs.  Sie zeigt mir Fotos auf ihrem Laptop. Auf einem hat sie sich auf das Eis gelegt und  ihre kalten Füße an den heißen Zylinder gehalten.
Sie ist wahrhaftig eine Abenteuer liebende Person!
Mike plant, seine Heimreise nach England über Russland zu machen, und Zaya wird erstmal nach Hause in die Mongolei fahren.
Am Abend machen wir drei uns mit dem Sohn der Wirtin zum Essen auf. Wir besuchen ein einheimisches Restaurant, und es gibt Plov, ein zentralasiatisches Nationalgericht. Reis wird gekocht und mit Zwiebeln, Brühe, Fleisch oder Fisch und Gemüse zubereitet – nicht unlecker!

Am folgenden Morgen verabschiede ich mich, und es geht weiter Richtung Gebirgssee Issyk Kul. Ich erreiche am frühen Abend Kemin. Hinter der Ortschaft schiebe ich mein Rad über ein kleines Wehr und schlage das Zelt an einem Fluss auf, an dem ich mich morgens wasche.
Inzwischen fahre ich langärmelig, denn durch die zunehmende Höhe ist es hier ein bisschen kühler.

Zelten-in-Kemin

Zelten am Fluss bei Kemin

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Auf dem Weg zum Issyk Kul

vorm-Issyk-Kul

Unterwegs

In Balykchy erreiche ich schließlich das Ufer des größten kirgisischen Sees, in dessen Tälern sich ein Großteil der Bevölkerung Kirgisistans konzentriert.

Hotelausblick-Balykchy

Ausblick Hotelzimmer Balykchy

Nach dem südamerikanischen Titicacasee ist der Issyk Kul der zweitgrößte Gebirgssee der Erde. Er ist 182 km lang, 60 km breit, bis 668 m tief und gut 1600 m über dem Meeresspiegel. Im Norden liegt die Bergkette des Kungej-Alatau, im Süden die des Terskej-Alatau.
Der Issyk Kul gefriert im Winter trotz einer Lufttemperatur von bis zu −20 °C nie. Vermutlich liegt das am Salzgehalt und an der raschen Mischung zwischen Oberflächen- und Tiefenwasser, das mehr als 4 °C hat. Der Issyk Kul ist heute Naturschutz- und Erholungsgebiet.

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Im Westen des Issyk Kul

In Tamchy sind in 1600 m Höhe nur noch 25°C. Ich fahre den ganzen Tag auf der Hochebene. Eine richtige Urlaubsfahrt ist das heute, mit einem traumhaften Panorama: auf der gegenüberliegenden Seite des Sees sehe ich auf der Bergkette weiße Zipfelmützen – schneebedeckte Gipfel ziehen sich am gesamten Issyk Kul entlang.

Allee-vor-Tamchy

Allee vor Tamchy

Hotel-Tamchy

Unterkunft in Tamchy

Abends im Hotel setze ich ein größeres Ritzel auf – es hat einen Zahn mehr – um in der gebirgigen Gegend besser zurecht zu kommen. Der erste Gang hat nun eine noch kleinere Übersetzung; folglich habe ich nicht mehr so viel Kraftaufwand. Aber die Kette ist zu stramm, sodass ich sie neu einstellen muss. Sonst kann ich das Hinterrad nicht einsetzen.

Hotelzimmer-Tamchy2

Ritzel-Austausch

Schönes-sauberes-neues-Ritzel

Schön sauberes, neues Ritzel

In Cholpon Ata gehe ich im See schwimmen. Im Anschluss probiere ich eine weitere landestypische Speise – Lachman – eine Suppe mit dicken Nudeln und Kartoffeln.

Baden-in-Cholpon-Ata-

Baden im Issyk Kul

Blick-nach-Norden-auf-Kungej-Alatau

Blick auf die Kungej-Alatau Bergkette

In Grigorievka verlasse ich den Issyk Kul vorübergehend und fahre gen Norden in die Berge, genauer gesagt, in die Kungej-Alatau-Bergkette des Tianshan-Gebirges. Hier gibt es keine Asphaltdecke mehr, und ich sehe überwiegend Allrad-Fahrzeuge – aus gutem Grund.

Passstraße-im-Chon-Aksu-Tal,Kungej-Alatau-Bergkette

Passstraße im Chon Aksu Tal

In-der-Kungej-Alatau-Bergkette

Grandiose Landschaft

Viele Jurten liegen an dieser Passstraße, auch solche, die für Reisende angeboten werden. Der Pass befindet sich auf einer Höhe von 2400 Metern. Zum Teil schiebe ich das Rad, trotz des größeren Ritzels; das ist extrem anstrengend!

Fix-und-fertig-vor-dem-Pass

Fix und fertig vor der Passhöhe

Aber die Landschaft ist einfach ein Traum! Ich bin unterwegs auf dieser unbefestigten Schotterstraße, die mir prompt den nächsten Platten einbringt. Schlagartig ist die Luft raus; ich muss also umgehend einen anderen Schlauch einziehen.

Passhöhe-zum-Schieben

Vor dem Pass

Viele frei laufende Pferde sowie Kuh- und Schafherden, die von Schäfern betreut werden, begegnen mir, und „Cowboys“ zu Pferd bringen ihre Herden auf den richtigen Weg.

Frei-laufende-Pferde,-Kungej-Alatau-Bergkette

Frei laufende Pferde

Am Pass begegne ich Falknern, die mir eines der Tiere auf die Hand setzen.

Falken-im--Chon-Aksu-Tal

Falken im Chon Aksu Tal

Hinter-der-Passhöhe

Hinter der Passhöhe

Ich übernachte in einer der Jurten. Bevor ich sie betrete, ziehe ich meine Schuhe aus, denn die Jurte ist mit Teppichen ausgelegt.

Eingang-Jurte

Jurte zum Übernachten für Reisende

Zum Abendessen gegen 19 Uhr gibt es Fisch, Salat, Brot, Marmelade, Tee und Joghurt mit Honig – der ist wirklich lecker.

Abendessen-an-Jurte

Abendessen

Außer mir schläft in der Jurte noch der Wirt selbst. Meinen Schlafsack soll ich nicht nehmen, stattdessen bezieht man mir ein Bett. Auf dem Boden liegen zwei, drei dickere Matten übereinander. Ich helfe der Wirtin ein Laken darüberzulegen, und dann kommt das dicke Bett darauf, denn es wird ganz schön kühl in den Nächten hier oben.
Ein Bach fließt direkt an der Jurte vorbei. Aus einem Rohr, das aus dem Berg ragt, fließt Wasser – offenbar Quellwasser – das in den Bach plätschert. Hier wasche ich mich mit dem ziemlich kühlen Wasser.
Als ich es mir später mit einem Becher Wein auf meiner Lagerstätte bereits gemütlich gemacht habe, holt mich der Sohn des Wirtes aus der Jurte.

Weintrunk-auf-Jurtenschlafstätte

Weintrunk auf meiner Schlafstätte in der Jurte

Ich habe keine Ahnung, was er will, denn er spricht kein Wort Englisch, und an meinem Kirgisisch muss ich wirklich noch arbeiten.
Unter einem Überstand steht Essen auf Tischen; unerwartet gibt es ein zweites Mahl an diesem Abend, und wir essen alle zusammen. Auf jeweils zwei großen Tellern sind Kartoffeln, Fleisch, Salat. Nicht jeder bekommt einen eigenen Teller, aber eine eigene Gabel und einen eigenen Löffel, und so ausgerüstet essen wir gemeinsam von den großen Tellern.

In Semenovka komme ich wieder auf die Straße A363, die um den Issyk Kul führt.

Zurück-am-Issyk-Kul

Zurück am Issyk Kul

Auf der Weiterfahrt nach Karakol fährt neben mir ein Auto, und der Fahrer spricht mich durch die offene Scheibe an. Das ist ja überhaupt nicht ungewöhnlich, aber dieser Typ schnauzt mich an, weil ich auf und nicht neben der Straße fahre. Er fährt so dicht an mich heran, dass er meine hintere Packtasche berührt und ich die Fahrbahn verlassen muss – das ist ein ziemlich aggressives Verhalten und mein erstes wirklich unangenehmes Erlebnis.

Nach mehreren Tagen finde ich nun endlich wieder eine Unterkunft mit WLAN. Mein Fahrrad steht hier im Skikeller des Hauses.
Das Loch im Schlauch des Vorderrads, das ich noch flicken muss, ist so groß, dass ich kaum Luft in den Schlauch bekomme. Ich verbrauche meinen neunten Flicken, der bedeckt gleich zwei Löcher.

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Hölzerne orthodoxe Kirche von 1895, Karakol

Karakol liegt am östlichen Ende des Issyk Kul und hat gut 70.000 Einwohner. Die Stadt ist nur 150 km von der chinesischen Grenze entfernt. Sie wurde 1869 gegründet und entwickelte sich, als Forschungsreisende in die Gegend kamen, um die Gebirgsregion zwischen China und Kirgisistan zu erforschen. Nach 1877 wuchs Karakol schnell, vor allem, weil chinesische Muslime (Dunganen) auf der Flucht vor religiöser Verfolgung in die Stadt kamen.

Nagelfreie chin.-Moschee-in-Karakol

Dunganen-Moschee in Karakol

Schnitzarbeit-an-chin.-Moschee

Schnitzereien an Dunganen-Moschee

Die hölzerne Moschee wurde von chinesischen Facharbeitern und ortsansässigen Dunganen zwischen 1907 und 1910 im Stil der Tsin-Dynastie errichtet, und zwar vollständig ohne metallene Nägel.

 

Қазақстан – Kasachstan (2)

An der Grenze steuere ich auf kasachischer Seite auf eine neue Menschentraube zu. Der kasachische Grenzer organisiert die Menschen weg vom Zaun, damit ich mein Fahrrad durch die entstandene Gasse an ihnen vorbei nach vorne schieben kann. Das gleiche setzt sich im Zollgebäude fort, unter „Begleitschutz“ eines Beamten.
Keiner der Wartenden ist sauer, keiner meckert. Als Tourist wird man offenbar bevorzugt behandelt. Ich kriege meinen Einreisestempel und mein „Einwanderungsblatt“, mit dem ich mich binnen fünf Tagen bei einer Art Einwanderungsbehörde anmelden muss.  Für diese Grenzabfertigung benötige ich insgesamt nur zwanzig Minuten; meine Sorge war glücklicherweise völlig umsonst.

Der Weg nach Shymkent führt durch wüstenartiges Gelände.

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Auf dem Weg nach Shymkent

Shymkent wurde Anfang des 13. Jahrhunderts als Handelsstadt an der Seidenstraße gegründet und ist heute ein bedeutendes Industrie- und Wirtschaftszentrum. Neben Erdölverarbeitung und chemischer Industrie befindet sich hier die größte Brauerei Kasachstans.

Blick-auf-Symkent

Blick auf Symkent

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Modernes Denkmal in Shymkent

Moschee-in-Symkent

Moschee in Shymkent

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Eislaufbahn im Einkaufszentrum Shymkent

Auf dem Weg nach Taraz gibt es nur wenige Ortschaften und weit und breit keine Unterkunft, sodass ich wohl erstmals Zelt und Schlafsack nutzen werde.  Ich lande in einem kleinen Dorf. Vor mir liegt ein weiterer Anstieg, ich bin aber bereits ganz kraftlos. Einen jungen Mann, der vor seinem Haus steht, frage ich mit Hilfe von Point it, Gestik und Mimik, ob ich mein Zelt bei ihm auf dem Grundstück aufbauen kann. Er versteht schnell, verschwindet kurz und kommt mit einer älteren Frau – vermutlich seiner Mutter – zurück. Nach einem neuerlichen Erklären nickt die Frau ohne Zögern und zeigt auf einen Platz neben ihrem Haus. Während ich das Gepäck vom Fahrrad nehme, erscheint die Tochter des Hauses und begrüßt mich per Handschlag. Dann schlage ich zügig das Zelt auf, denn es wird bereits dunkel. Beim Essen nutze ich meine Stirnlampe, die bisher nur beim Rasieren in zu dunklen Bädern zum Einsatz kam. Den Inhalt meiner mitgebrachten Fischkonserve balanciere ich mit dem Taschenmesser auf das Brot, das ich unterwegs zusätzlich zu einer Wassermelone und einer Flasche trockenen Rotweins gekauft habe. Noch während ich esse, bringt mir die ältere Frau eine Porzellanschale gefüllt mit Nudelsuppe mit üppiger Gemüse- und Fleischeinlage – hm, die ist wirklich köstlich! Der trockene Rotwein aus meiner Plastiktasse rundet das Mahl ab! Da passt nun wirklich keine Melone mehr rein; ich bin pappsatt!
Die Körperhygiene muss sich heute Abend trotz schweißdurchtränkter Klamotten aufs Zähneputzen beschränken. Ich krieche ins Zelt und versuche eine Mütze voll Schlaf zu kriegen.

Zelten- 87 km vor Taraz

Übernachten knapp 90 km vor Taraz

Am Morgen stehe ich um fünf  Uhr auf und entdecke einen Wasserschlauch, der  offenbar die Hauswasserversorgung darstellt, denn die ältere Frau holt dort mit einem Krug Wasser. Ich wasche mich hier.
Um halb sechs frühstücke ich Dosenwurst auf Brot vom Vortag. Wieder werde ich unerwartet  vor der Frau versorgt. Ich bekomme eine große Tasse Tee mit Gebäck und Bonbons, die man üblicherweise zum Tee reicht. Die Frau begibt sich in ihren Garten, pflückt Äpfel, Birnen und Pflaumen, die sie mir gibt. Inzwischen beherzige ich die Vorgehensweise  Peel it, cook it or forget it  und schäle die Äpfel. Das restliche Obst soll ich mitnehmen. Ich bedanke mich und reiche ihr 2000 Tenge, also etwa 10 Euro. Sie will kein Geld, aber es ist mir wichtig, dass sie es nimmt. Und ich merke, dass sie sich sehr darüber freut, denn sie lächelt und kommt nun ein bisschen aus sich heraus. Sie stellt mir persönliche Fragen, und ich zeige ihr einige Fotos von meiner Familie.
Dann packe ich meine Sachen aufs Rad, verabschiede mich von ihr und fahre um halb sieben weiter. So früh komme ich sonst nie los.
Es geht jetzt erst einmal bergauf. Ich bin auf über 1000 Meter Höhe und sehe im Süden eine Gebirgskette mit schneebedeckten Gipfeln. Das ist vermutlich schon Kirgistan.
Am späten Vormittag mündet der Weg in eine vierspurige Straße mit sehr gutem Belag. Vor mir liegt eine steile, sehr lange Abfahrt mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von sechzig Stundenkilometern. Vor einem Radarmessgerät, das mir auffällt, reduziere ich mein Tempo auf 60 km/h. Anschließend erreiche ich meine aktuelle Höchstgeschwindigkeit von 66 km/h. Die Straße ist astrein, und es besteht keine Gefahr, dass sich die vorderen Packtaschen aus der Halterung verabschieden. Ich überhole einen kleinen Lkw, und wie es hier üblich ist, fahre ich ohne Richtungszeichen rechts vor ihm rüber; mit nur einer Hand am Lenker wäre mir auch grad nicht wirklich wohl.
Heute werde ich tatsächlich sechsmal am zügigen Vorankommen gehindert, denn langsam neben mir herfahrende Autofahrer wollen wieder einmal alles Mögliche über mich wissen. Zweimal muss ich stoppen, da die Fotos von meinem Fahrrad und mir aus dem rollenden Fahrzeug nichts geworden sind. Wieder spüre ich Arme um meine Schulter, Kameras klicken. Ein Handschlag, ein Schulterklopfen und ein Winken im Vorbeifahren, und weiter geht’s. Inzwischen gehört das zu meinem Alltag.

Ich erreiche Taraz am frühen Nachmittag.

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Stadteinfahrt Taraz

Kurz vor der Unterkunft bemerke ich, dass der Hinterreifen Luft verliert, fahre aber noch bis zum Hotel. Dort baue ich das Hinterrad aus, schaue bei der Gelegenheit nach der Rohloffnabe und ziehe ein paar Schrauben an der Achsplatte nach. Das Hinterrad nehme ich mit in mein Zimmer. Im Mantel entdecke ich das Corpus Delicti: Ein Stück ganz dünner Stahldraht ragt innen aus dem Mantel und setzt dem Schlauch zu, sodass ein weiterer Flicken her muss.

Die Stadt Taraz hat 400.000 Einwohner und feierte im Jahr 2002 ihr 2000-jähriges Bestehen. Im 5. Jahrhundert lag die Stadt an einer Karawanenstrecke zwischen Europa und China. Sie wurde im 8. und 9. Jahrhundert von den Arabern regiert und im 13. Jahrhundert von den Mongolen verwüstet. 1864 wurde Taraz von Russland annektiert.
Die Stadt liegt an der Turkestan-Sibirischen Eisenbahnstrecke in einem bewässerten Gebiet mit Obstplantagen und Gemüseanbau.

 

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Mausoleum von Karakhan

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Moderne Moschee in Taraz

Mausoleum-Taraz

Dauitbek Mausoleum

Unterwegs nach Kulan mache ich auf einem Parkplatz Rast. Ein Lkw-Fahrer, der 34 t Melonen geladen hat und auf dem Weg nach Russland ist, will mir eine Frucht schenken, aber die ist mir zu groß zum Mitnehmen! Sein Beifahrer schneidet die Melone auf und gibt mir eine Hälfte, die ich mitnehmen soll. Die andere Hälfte essen wir gleich gemeinsam.

Melonen-Lkw-nach-Russland

Lkw auf dem Weg nach Russland

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Landschaft unterwegs

Während der Weiterfahrt stoppe ich bei einem Motorradfahrer, der grad eine raucht, ohne extra den Helm abzunehmen!  Wir kommen ins Gespräch. Er ist auf dem Weg nach Almaty, um mit anderen Motorradfahrern von dort aus zum Issyk-Kul zu fahren. Sie wollen den großen kirgisischen See motorisiert umrunden; ich habe das mit dem Fahrrad vor.

Kasachischer-Motorradfahrer

Motorradfahrer unterwegs zum Issyk-Kul

In Kulan angekommen halte ich bei einem Restaurant, um nachzufragen, ob ich mein Zelt auf dem Hof aufschlagen kann. Oftmals sind nämlich die Restauranttoiletten draußen, so dass ich sie vielleicht nutzen könnte.
Zwei Bauarbeiter, die zum Essen da sind, verfolgen das Gespräch und holen mich an ihren Tisch. Ich trinke ein Bier mit ihnen. Mein Blick fällt durch das Fenster auf den Hof;  da gibt es überhaupt keine Möglichkeit, ein Zelt aufzuschlagen!  Einer der Bauarbeiter telefoniert, und nach etwa einer Stunde marschieren wir zu dritt los zu einem Fußballstadion. Ich kann hier übernachten! Der Platzwart weist mir einen Platz zum Zelten zu, die drei verabschieden sich und ich bin allein.

Abends-im-Stadion

Abendlicher Zeltaufbau im Fußballstadion

Ein etwa acht Meter hoher Wasserbehälter auf einem Metallgerüst steht in dem Stadion, vermutlich zum Rasensprengen. Der Behälter hat ein Leck, unter das ich mich stelle und wasche – wunderbar! Ich fühle mich hier keinen Moment lang unwohl.

Morgens-im-Stadion

Frühstücken im Stadion

Am späten Nachmittag erreiche ich die kasachisch-kirgisische Grenze.

Oʻzbekiston Respublikasi (2)

Als ich nach zwei Tagen Bukhara frühmorgens verlasse, ahne ich nicht, dass ich eine 123-Kilometer-Strecke vor mir habe. Es geht über Vobkent und Kiziltepa bis nach Navoi. Denn entweder sind in den Orten keine Unterkünfte oder die Hotels sind geschlossen oder nicht für Touristen;  in Hotels für Einheimische hat man keine Möglichkeit, sich als Gast registrieren zu lassen, was hier gesetzlich vorgeschrieben ist.

Andreas

Andreas aus Ratingen

Unterwegs treffe ich Andreas; er berichtet, dass in wenigen Kilometern ein Vier-Sterne-Hotel kommt, das allerdings dauerhaft geschlossen ist. Auch er ist auf der Suche nach einer Unterkunft, fährt aber in die entgegengesetzte Richtung.

Für diese Wahnsinnsstrecke werde ich entschädigt. In Navoi ist ein Superhotel mit Sauna und Massage, die ich mir für 10.000 So’m gönne. Anschließend schickt mich die Masseurin noch in die russische Sauna; die ist nicht so sehr heiß, und statt elektrischer Beleuchtung steht nur ein Kerzenlicht darin. Zweige werden angefeuchtet, und die Masseurin schlägt mir damit auf Rücken, Gesäß und Beine. Anschließend werden mir, nachdem sie die Zweige erneut in Wasser eingetaucht hat, diese auf den Körper gelegt. Nun wird es richtig heiß, ähnlich wie bei einem Saunaaufguss! Anschließend werde ich zum Schwimmen geschickt. Danach bin ich fertig für‘s Abendessen und Schlafen!

Am nächsten Tag gibt es im 100 Kilometer entfernten Kattakurgan dasselbe Problem: ein Hotel ist vorhanden, aber nicht für Touristen.  Freundliche Menschen helfen mir weiter, und ich komme in einer privaten Unterkunft unter. Dort übernachte ich im ehemaligen Kinderzimmer, und das Essen wird mit der Familie eingenommen. Die Dusche darf ich als Gast mitbenutzen. Hier steht ein Ofen, der für heißes Wasser sorgt. Und beim Duschen wird die Temperatur ganz individuell eingestellt:  Ich mische in einer Kelle das kochend heiße Wasser aus einem Becken neben dem Ofen mit kaltem Wasser aus einer Schüssel und schütte es über meinen Kopf. Diese Vorgehensweise muss mehrfach wiederholt werden … – das ist Landeskunde hautnah!

Kattakurgan-Familienunterkunft

Bei dieser netten Familie in Kattakurgan übernachte ich.

Auf dem Weg nach Samarqand springt mir zum ersten Mal die Kette ab, und die Rohloff-Nabe scheint linksseitig Öl zu verlieren. Ich trage das Fahrrad in den Schatten, nehme die Packtaschen ab und habe sofort fünf  erwachsene Männer als „Helfer“ zur Seite.  Einer von ihnen packt tatsächlich mit zu und hilft mir. Der Chainglider muss ab, die Kette auf das Kettenblatt gelegt und das Hinterrad leicht nach hinten versetzt werden, um die Kette zu spannen. Anschließend ziehe ich meine Einmalhandschuhe aus. Mein Helfer sieht leider aus wie Ferkel, obwohl er sich die Hände notdürftig mit Gras reinigt. Trotzdem bedanke ich mich bei ihm natürlich per Handschlag, wie es sich gehört.

Leckage-an-Rohloffnabe

Leckage an Rohloff-Nabe

In Samarqand wohne ich in einem Hotel mit Innenhof, wo ich mit vielen Menschen ins Gespräch komme.

Innenhof-Samarqand

Innenhof im Hotel in Samarqand

Da ich am Vortag  in Kattagurgan keine Registrierung bekommen habe, was mir leider bereits schon zweimal passiert ist, bescheinigt man mir hier freundlicherweise einen weiteren Tag den Aufenthalt. Das ist sehr gut, denn andernfalls könnte ich bei der Ausreise Probleme bekommen. Ausländer müssen sich nämlich innerhalb von drei Tagen bei der Verwaltung für Ein-/Ausreise und Staatsbürgerschaft des jeweiligen Stadtbezirks anmelden. Bei Einreise mit einem Touristenvisum wie meins kann eine Registrierung nur über Hotels erfolgen, und der Registrierungsbeleg muss bei der Ausreise vorgelegt werden. Die Einhaltung der melderechtlichen Vorschriften wird von den zuständigen usbekischen Behörden offensichtlich penibel überprüft, und die Mindeststrafe bei Missachtung der Vorschriften beträgt angeblich 700,- €. Hoffentlich werden mir da die zwei fehlenden Nachweise nicht zum Verhängnis …

Abends sitze ich im Innenhof und skype mit Katrin. Ich bin unglaublich durstig und frage die Bedienung, wo ich ein Bier kaufen kann, denn in dem Hotel gibt es keins. Daraufhin telefoniert sie mit ihrem Bruder, der mir nur drei Minuten später ein herrlich kühles Bier vorbeibringt, das er irgendwo gekauft hat. Wie klasse!

Teppichpflege-in-Usbekistan

Typische Teppichreinigung auf der Straße

Die Oasenstadt Samarqand hat gut 350.000 Einwohner. Gegründet Ende des 14. Jhrd. v. Chr. zählt sie zu den ältesten Städten der Welt. Unter islamischer Herrschaft florierte die Stadt, bis auch sie dem zerstörwütigen mongolischen Eroberer Dschingis Khan 1220 in die Hände kam. Gut 150 Jahre später machte der damalige mongolische Herrscher Samarqand zur Hauptstadt seines Großreichs.
1868 kam die Stadt offiziell unter russische Herrschaft. 1925 wurde sie zur ersten Hauptstadt der neu geschaffenen Usbekischen Sozialistischen Sowjetrepublik, verlor diese Funktion jedoch 1930 an Taschkent. Seit 1991 gehört Samarqand zur unabhängigen Republik Usbekistan, deren viertgrößte Stadt sie ist. Einige der großartigsten Zeugnisse islamischer Architektur sind hier zu finden.

Bibi-Khanum-Moschee

Bibi Khanum Moschee

Erbaut wurde die Moschee Bibi Khanum von 1399 bis etwa 1404. Sie war eine der größten und prächtigsten Moscheen der islamischen Welt. Bis Ende des 20. Jahrhunderts war von ihr nur noch eine grandiose Ruine erhalten geblieben, doch dann begann die usbekische Regierung mit der Wiederherstellung der drei Kuppelbauwerke und des Paradeportals.

Blick-von-Bibi-Khanum-Moschee

Blick von Shahi Sinda auf Samarqand

Shahi-Sinda, ,,Der lebende König“,  ist eine der bekanntesten Begräbnisstätten in Zentralasien. Der Name wird mit einer Sage verbunden, wonach der Cousin des Propheten Mohammed hier begraben liegt. Das Shahi-Sinda Ensemble wurde vom 11. bis zum 19. Jahrhundert ausgebaut und verfügt heute über mehr als 20 Gebäude.

Schahi-Sinda

Shahi Sinda

Shahi-Sinda-Kuppeln

Vor den Shahi Sinda Kuppeln

Das Gur-Emir-Mausoleum mit der hohen melonenförmigen Kuppel wurde Ende des 14. Jahrhunderts erbaut. Die Kuppel ist mit 64 gleichmäßigen Rippen versehen;  jede Rippe soll für ein Lebensjahr Mohammeds stehen. Glasierte Fliesen in türkis und kobalt, aber auch violett und orange wurden verwendet, aber aus größerer Entfernung wirkt die Kuppel blau. Je nach Tageszeit und Lichteinfall ändern sich die Schatteneffekte und die Farbnuancen, die durch die Rippen hervorgerufen werden.

Gur-Emir-Mausoleum

Gur Emir Mausoleum

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Vor dem Gur Emir Mausoleum

Der Registan, einer der prächtigsten Plätze Mittelasiens, ist das Herz des antiken Samarqands. Er wird bestimmt durch das Ensemble von drei Madrasa (Koranschulen) und gilt als einzigartiges Beispiel der Kunst des Stadtbaus. Während ich hier bin, werden Vorbereitungen für ein Festival getroffen.

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Registan mit Sher-Dor-Madrasa

Registan-Festival-Vorbereitungen

Registan – Festival Vorbereitungen

Registan Kuppel

Registan – Minarett und Kuppel der Sher-Dor-Madrasa

Beeindruckende-Registan-Kuppel-von-innen

Beeindruckende Innenansicht einer Kuppel

Diese Stadt ist überwältigend! Dennoch will ich – wie immer – nach zwei Tagen weiterfahren, muss aber unerwartet umdisponieren. Abends bekomme ich Fieber und bin froh, das Bad, in dem ich in dieser Nacht mehr Zeit verbringe als im Bett, am Zimmer zu haben. Also bleibe ich einen weiteren Tag. Man versorgt mich tagsüber mit Reis und schwarzem Tee. Abends bekomme ich Kartoffelbrei, etwas Gemüse und ein ganz klein wenig Hackfleisch. Leckere Melone und Salat verweigert mir die Bedienung, weil das ihrer Meinung nach nicht gut für mich ist. Man kümmert sich hier geradezu liebevoll um mich.
Am nächsten Morgen fühle ich mich wieder halbwegs fit und mache mich auf den Weg ins gut 100 Kilometer entfernte Jizzakh, wo ich übernachte, und von dort aus über weitere 120 Kilometer nach Gulistan.

Auf der 120-Kilometer-Etappe nach Tashkent begegne ich einem Chinesen, der zu Fuß mit Rucksack von Peking unterwegs ist nach Samarqand. Er interessiert sich für meine Karte in der Lenkertasche und möchte einen Blick hineinwerfen, macht auch Fotos,  um sich künftig besser orientieren zu können, denn eine eigene Karte hat er nicht.  Je weiter östlich ich komme, desto ungewöhnlicheren  Menschen scheine ich zu begegnen.

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Backpacker aus Peking zu Fuß unterwegs

Heute gibt es mehrere Passkontrollen. Von einer vierspurigen Straße verjüngt sich die Fahrbahn auf jeweils eine Spur. Das habe ich schon mehrfach erlebt, wurde aber bislang immer freundlich durchgewunken. Anders heute:  Bei der ersten Kontrolle holt mich ein Polizist aus der Warteschlange, will das Übliche wissen, woher ich stamme, wohin ich will,  fragt nach meinem Namen und stellt sich selbst auch vor. Am Schluss verabschiedet er sich per Handschlag von mir; immerhin kennen wir uns ja jetzt.
Gute zwei Stunden später treffe ich auf eine weitere Kontrolle; dieser Polizist  ist offenbar ziemlich schlechter Laune, und er brüllt seine Mitarbeiter an. Er verlangt von mir meinen Pass und will zusätzlich eine Kopie, die ich ihm natürlich nicht gebe. Daraufhin verschwindet er mit meinen Pass in ein Nebengebäude, macht möglicherweise selbst die gewünschte Kopie, dann kann ich endlich weiterfahren.

Juma-Moschee

Juma Moschee in Taschkent

Ich komme erst am Abend in Taschkent,  Usbekistans Hauptstadt mit mehr als 2 Millionen Einwohnern, an. Sie liegt nördlich der großen Seidenstraße an der Grenze zu Kasachstan.
Taschkent entstand im 2. Jahrhundert v. Chr. und wurde – wie  viele Städte hier – auch 1220 von Dschingis Khan erobert; allerdings zerstörte er die Stadt nicht, sondern gliederte sie in sein Reich ein.
Natürlich wurde Taschkent viel später auch von russischen Streitkräften erobert. Von 1930 bis 1945 gab es zwei sowjetische Besserungsarbeitslager mit mehr als 36000 Internierten, die unter anderem Zwangsarbeit in der Baumwollproduktion leisteten. Ein  Kriegsgefangenenlager für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs lag ebenfalls in Taschkent.
1966 wurde die Stadt bei einem Erdbeben sehr stark zerstört. Dies gab den Stadtplanern die Möglichkeit, ihre Vision einer Stadt mit sowjetischer Modernität in Asien umzusetzen. Dabei wurden auch nur leicht beschädigte Gebäude der traditionellen Viertel abgerissen. Verkehrswege wurden neu organisiert, Straßen verbreitert, Parks erweitert sowie eine U-Bahn und höhere Gebäude als zuvor gebaut. Der Stadt kam umfangreiche und schnelle Hilfe von Partei und Regierung in Moskau zugute. Das ursprüngliche Stadtbild aber war unwiederbringlich zerstört.
Am 31. August 1991 wurde in Taschkent die Unabhängigkeit Usbekistans ausgerufen, und die Stadt wurde zur Hauptstadt des neuen Staates. Seither wird renoviert und umgebaut, um das Bild eines mächtigen Regierungszentrums für einen modernen unabhängigen Staat zu schaffen.

Basar-Halle

Basar in Taschkent

Gewürze-im-Basar

Gewürzstände verbreiten ungewohnte Düfte und Gerüche

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Kulkedash Madrasa

Innenhof-kulkedash-madrasa

Innenhof der Kulkedash Madrasa

Innenhof-mit-verzierten-Balken

Innenhof mit Schmuckbalken

verzierter-Balken

Reiche Schnitzereien

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Khast Iman Moschee

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Auf dem Gelände der Khast Iman Moschee

Nach nur 20 Kilometern komme ich an die usbekisch-kasachische Grenze. Die zwei fehlenden Übernachtungsnachweise beschäftigen mich, aber ich werde schnell von meinen Gedanken abgelenkt.
An der Grenze ist es so was von voll! Etwa 80 Leute sind vor mir, aber ich werde unverzüglich durch eine Menschengasse nach vorne durchgewunken. Mein sämtliches Gepäck ist abzunehmen und auf ein Gepäckband zu legen, wo es durchleuchtet wird. Auch zur Passkontrolle holt man mich sofort nach ganz vorn, an allen vorbei. Der freundliche Zollbeamte füllt ein Formular für mich aus, das ich bereits von der Einreise kenne. Man trägt die Geldmenge ein, die man mit sich führt. Ich werde mit keiner Silbe nach den Unterkünften gefragt … – puh! Man ist sehr zuvorkommend, und ich erhalte meinen Ausreisestempel.